J. Hofmann "Beschäftigungspolitische Perspektiven der IG Metall für Ba-Wü"

03.12.2004 Der Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, Jörg Hofmann, stellt Vorschläge für eine nachhaltige Beschäftigungsentwicklung vor.

Manuskript Beschäftigungskonferenz am 18.11.2004, Böblingen

Referat Jörg Hofmann, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg

- es gilt das gesprochene Wort -

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Teufel,
sehr geehrter Herr Dr. Zwiebelhofer,
sehr geehrter Herr Professor Bofinger,
meine Damen und Herren,

Die Metall- und Elektroindustrie ist und bleibt der Wachstums- und Beschäftigungsmotor in Baden-Württemberg. Die von der IG Metall betreuten Sektoren tragen wesentlich zum Wohlstand in unserem Bundesland bei. Jeder 4. Euro der Bruttowertschöpfung Baden-Württembergs entsteht in diesen Branchen. Daneben sind weitere Wachstumsbranchen, insbesondere die der unternehmensbezogenen Dienstleistungen eng mit diesen Kernsektoren verknüpft. Man kann ohne Übertreibung sagen:

Die Metall- und Elektroindustrie ist das Herz der baden-württembergischen Wirtschaft. Ein Herz, das kräftig und dynamisch schlägt. Entgegen allen Unkenrufen, einer nachlassenden Bedeutung des industriellen Sektors, hat sich in den letzten 10 Jahren der Anteil dieses Sektors in Baden-Württemberg nicht nur stabilisiert, sondern wieder erhöht. Und dies zum Vorteil dieses Bundeslandes.

Es sei angemerkt: Das Bundesland mit den höchsten Tarifstandards hat seinen Anteil an der Produktion der deutschen Metall- und Elektroindustrie kräftig ausgebaut. Allein diese Fakten belegen die Absurdität der Argumentation, man müsse nur die Tarife senken, die Arbeitszeiten verlängern, dann würde Wachstum sprießen. Blühende Landschaften gibt es offensichtlich zwischen Rhein und Neckar, zwischen Bodensee und Tauber, dort wo eine starke IG Metall, gefestigte Betriebsräte für faire Arbeitsbedingungen sorgen und nicht dort, wo Arbeitgeberwillkür und Tariflosigkeit das Bild von Industriewüsten prägen.

Es gibt die baden-württembergische Krankheit nur im Kopf derer, die vergessen haben, dass gesellschaftlicher Wohlstand Basis nachhaltigen wirtschaftlichen Wachstums ist und nicht die Renditeerwartungen der Finanzmärkte.

Die baden-württembergische Metall- und Elektroindustrie hat sich früh entschieden nicht nur die Weltmärkte erfolgreich durch Exportgüter zu versorgen, sondern selbst zu Internationalisieren. Die Globalisierung der Ökonomie beeinflusst dabei die Beschäftigungsentwicklung in den einzelnen Branchen sehr unterschiedlich. Bedeutet sie für die Textil-, Uhren- und Elektroindustrie deutliche Beschäftigungsverluste, hat sie bis dato in den Kernbranchen des Fahrzeugbaus und des Maschinenbaus zu einer insgesamt positiven Beschäftigungsentwicklung geführt.

Gleichzeitig hat sich ein gewaltiger Strukturwandel in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg selbst vollzogen: innovative Hochtechnologie und wissensbasierte Produktion in komplexen Netzwerken prägen unsere Betriebe. Dies blieb nicht ohne Auswirkung auf die Struktur der Beschäftigten: Seit 1994 baute die Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg Jahr für Jahr 10.000 gering qualifizierte Jobs ab, in ähnlichem Umfang erhöhte sich die Zahl hoch qualifizierter Tätigkeiten.

Im Saldo erwiesen sich die Industriebranchen der IG Metall in Baden-Württemberg in den letzten Jahren als Wachstumssektoren für Beschäftigung - ganz im Gegensatz zur bundesweiten Entwicklung. Nahm in Baden-Württemberg die Beschäftigung in der Metall- und Elektroindustrie in den letzten 10 Jahren um über 4% auf heute 840.000 Beschäftigte zu, sank sie bundesweit um 3%.

Diese positive Entwicklung in unserem Bundesland kommt spürbar unter Druck. Um auch in Zukunft Produktivität und Beschäftigung gleichzeitig zu erhöhen, bedarf es Wachstumspotentzale, die nicht alleine aus einem Mengenwachstum des Exports generiert werden können.

Dabei müssen wir feststellen, dass vorhandene Standortvorteile Gefahr laufen verloren zu gehen.

Die baden-württembergische Metall- und Elektroindustrie hat ein wachsendes Innovations- und Qualitätsproblem. Dahinter stehen Verluste in der wesentlichen regionalen Kernkompetenz: Nicht nur innovative Produkte zu entwickeln, sondern diese in hoch effiziente und sichere Prozesse industrieller Fertigung umzusetzen.

Die Ursachen liegen in einem wachsenden Qualifikationsproblem und mangelnden Unternehmensstrategien für nachhaltiges Innovationsmanagement. Die notwendigen schnelleren Innovationszyklen erhöhen die Störanfälligkeit bis hin zum Crash,

Die Ursachen liegen auch in Rahmenbedingungen, die durch die Finanznöte der öffentlichen Haushalte geprägt sind. Vernachlässigung der Erneuerung öffentlicher Infrastruktur, statt wichtiger Zukunftsinvestitionen in Verkehr, Bildung und Grundlagenforschung prägt das Bild in Baden-Württemberg.

In den letzten Jahren hat sich die erfolgreiche Clusterbildung im Lande rund um den Fahrzeugbau weiter verstärkt. Dies hat wesentlich zum positiven Beschäftigungswachstum beigetragen, dennoch stecken in einer solchen Konzentration deutliche Zukunftsrisiken. Zwar hat die Zukunftsstudie von Merger, aber auch eine Studie der IG Metall über Innovationspotenziale des Fahrzeugbaus am WZB Berlin all diejenigen Lügen gestraft, die den Fahrzeugbau als „sterbende“ Branche zu vorschnell abschreiben.

Dennoch ist es richtig, dass die Landesregierung versucht Innovations- und Technologiekompetenz auch in anderen Zukunftsbranchen durch Netzwerke und Infrastruktur zu fördern, etwa in Folge der Roland Berger-Studie der Landesstiftung Baden-Württemberg. Diese Versuche zeigen aber nur zögerliche Erfolge. Ganz gewiss gibt es gute Chancen in der Mikrotechnik, in der Photonik und anderen Technologien der Metall- und Elektroindustrie um regionale Stärken auszubauen. Dies setzt aber eine deutlich aktivere Industriepolitik, verbunden mit einer adäquaten Grundlagenforschungs- und Hochschulpolitik voraus. Hier sind baden-württembergische Unternehmen öfters darauf angewiesen, mit Forschungseinrichtungen und Hochschulen außerhalb des Landes zusammenzuarbeiten. Dies behindert die Entwicklung regionaler Netzwerke und Cluster.

Wachstumspotenziale zu erschließen, das ist der Schlüssel für zukünftige Wettbewerbsfähigkeit und damit Beschäftigung in der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie.

Wachstumspotenziale realisieren sich aber nur durch Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen. Hier reichen die Exporterfolge nicht aus. Wachstumshemmnis Nummer 1 ist und bleibt die mangelnde Binnennachfrage. Der Sachverständigenrat hat es in seinem jüngsten Gutachten auf den Nenner gebracht: “Deutsche Waren und Dienstleistungen sind im Ausland heiß begehrt, allein die deutschen Verbraucher und Investoren scheuen ihren Kauf“.

Lassen Sie mich an dieser Stelle eine Bemerkung zu einer Einlassung des Präsidenten von Gesamtmetall, Martin Kannegießer, machen. Er forderte in den letzten Tagen mit Blick auf die vereinbarte Revisionsklausel unseres Tarifabschlusses 2004 für die kommenden Jahre Nullrunden. Nun weiß auch Herr Kannegießer, dass dies nicht durchsetzbar ist und dass solche Erklärungen für das Publikum geschrieben sind. Das Problem ist die Maßlosigkeit einer solchen Interessenspolitik, die auf einfallslose Konfrontation setzt.

Ich bin fest davon überzeugt, dass ohne eine koordinierte Wirtschafts-, Industrie- und Tarifpolitik, die einerseits Wachstumspotenziale freisetzt, andererseits die Nachfrage der privaten und öffentlichen Haushalte nach Konsum- und Investitionsgütern fördert, es zu keiner deutlichen Trendwende in der Beschäftigung kommen wird.

Hierzu sind alle Akteure auf allen Ebenen aufgerufen. Auch die IG Metall Baden-Württemberg will hierzu einen Beitrag leisten. Sie fordert aber auch notwendige Beiträge der Arbeitgeber und der Landespolitik ein.

Der alte Produktivitätspakt, der die Erfolge der deutschen Metall- und Elektroindustrie, aber auch die Erfolge der IG Metall für mehr Sicherheit und Wohlstand für Arbeitnehmer über Jahrzehnte der Nachkriegsentwicklung geprägt hat, verliert in der hoch internationalisierten Metall- und Elektroindustrie an Wirkung. Die Rolle des Lohns als Produktivitätspeitsche gerät in Konkurrenz zum Druck der internationalen Märkte und Standorte. Damit gerät ein Wachstumsmodell in die Krise, das Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung dadurch in Einklang brachte, dass die Produktivitätsfortschritte durch wachsende Kaufkraft der Produzenten im Inland kompensiert wurden.

Je volatiler das Kapital, je offener die Märkte, umso stärker vollzieht sich dieser Paradigmenwechsel. Die baden-württembergische Metall- und Elektroindustrie agiert heute unter veränderten Rahmenbedingungen:

- Die EU-Osterweiterung und die Öffnung neuer Märkte für Güter und Investitionen, etwa in China, erhöhen den Druck auf Preise und Standorte. Hier ist auf lange Zeit mit erheblichen Wohlstandsgefällen zu rechnen, so dass dieser Druck nicht nur temporär wirkt, sondern nachhaltig die Strukturen der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg beeinflussen wird. So wird sich der Abbau einfacher Produktionstätigkeiten in Folge deutlich beschleunigen.

- Der Wandel in der Unternehmensrefinanzierung, das geänderte Selbstverständnis der Banken und der Weg zu einer stärkeren Nutzung des Kapitalmarkts beschleunigen diesen Prozess auch in baden-württembergischen Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie. Kurzfristige Renditeziele und nicht nachhaltiges Unternehmenswachstum, Shareholder Value statt Gemeinwohlorientierung prägen die Chefetagen mancher baden-württembergischer Unternehmen. Dies konterkariert jeden Versuch einer nachhaltigen Beschäftigungs- und Unternehmenspolitik.

Für die Binnenwirtschaft und damit die Beschäftigung, wie für das Finanzierungsvolumen der öffentlichen Haushalte und Sozialkassen, hat das Arbeitseinkommen eine unersetzbare Nachfragefunktion. Daher scheidet ein Weg der reinen Arbeitskostenkonkurrenz aus. Er würde nicht nur zu gesellschaftlich nicht durchsetzbaren Einkommensminderungen führen, sondern auch unser Sozialsystem und seine Finanzierung in schnellen Schritten in den Ruin treiben.

Ich betone: Baden-Württemberg muss sich seinen eigenen Entwicklungspfad als Hochlohnland suchen - blindes Bench-Marking und Arbeitskostenvergleiche zeigen allein die Phantasielosigkeit derer, die sich dem Mainstream neoliberalen Zeitgeistes und nicht den Wurzeln und der Zukunft des Erfolgs unserer Metall- und Elektroindustrie verpflichtet sehen.

Wer das Land der Tüftler und Denker zu einem Land der blinden Kostensenker machen will, sägt am Ast, auf dem sich der Wohlstand dieses Bundeslandes begründet.

Wir haben keine andere Wahl, als weiter auf Produktivität und Innovation als Wettbewerbsfaktoren zu setzen. Nur so können wir Beschäftigung auch in Zukunft stärken und Wohlstandsniveaus halten.

Die Forderungen nach Nullrunden und Arbeitszeitverlängerung stehen gegen eine zukunftsorientierte Beschäftigungspolitik. Wir sagen: Schluss mit dieser unseligen Debatte. Sie löst keines der Zukunftsprobleme unserer Branchen.

Wenn die IG Metall für einen neuen Produktivitätspakt wirbt, der alle Akteure, Tarifparteien und Politik zu einem koordinierten Handeln für mehr Beschäftigung aufruft, dann sieht sie als Kern eines solchen neuen Produktivitätspaktes ein Maßnahmebündel aus:

1. Maßnahmen die die Inlandsnachfrage stützen

2. Maßnahmen die Wachstumspotenziale durch die Förderung der Innovationsfähigkeit und Produktivität einerseits, die Erhöhung der Erwerbsquote andererseits erschließen

3. Maßnahmen die den Strukturwandel in der Beschäftigung, insbesondere den weiteren Abbau einfacher Produktionstätigkeiten, sozial gestalten.

4. Maßnahmen die die Beteiligung der Beschäftigten als die wesentlichen Ideengeber und Akteure erhöhen.

Wir haben in einem ersten Entwurf, der dieser Konferenz zur Diskussion vorliegt, versucht, diese Maßnahmen mit konkreten Vorschlägen und Forderungen zu füllen.

Wir werden heute Mittag Gelegenheit haben darüber in den Foren zu debattieren. Es ist der Beginn einer Debatte in der IG Metall in Baden-Württemberg. Wir wollen sie nicht nur alleine, sondern mit Politik, Arbeitgeber und Wissenschaft gemeinsam, notfalls auch strittig, führen. Daher freue ich mich auf die Einlassungen unserer Gäste.

Ich möchte an dieser Stelle nur einige Aspekte aus diesen Vorschlägen aufgreifen.

1. Wir brauchen eine stärkere Inlandsnachfrage

Die IG Metall Baden-Württemberg hat sich in ihrer Lohnpolitik in der Vergangenheit am gesamtwirtschaftlichen mittelfristigen Verteilungsspielraum, das hießt der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung und der Zielinflationsrate der EZB, orientiert. Diese lohnpolitische Orientierung sichert den hoch produktiven Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie eine Entlastung bei den Stückkosten.

Diese lohnpolitische Grundlinie gibt den Unternehmen Planungssicherheit bei den Investitionen und eröffnet Spielräume für notwendige Innovationen. Wir erwarten aber auch, dass dies von den Betrieben genutzt wird und in Arbeitsplätze in Deutschland umgesetzt wird. Hier haben Unternehmen Verantwortung gegenüber ihren Beschäftigten.

Diese Verantwortung ist in vielen auch führenden Betrieben des Landes einer kurzfristigen Jagd nach noch höheren Renditen gewichen. Geprägt von einer Gehaltspolitik in den Chefetagen, die an diese Renditeziele gekoppelt ist und keinen Bezug mehr zur Verantwortung für Arbeitsplätze in Baden-Württemberg hat.

Die IG Metall hat mit dem Pforzheimer Abschluss ihre Bereitschaft verdeutlicht, Verantwortung für Beschäftigung in den Betrieben zu übernehmen. Für über 170.000 Beschäftigte in Baden-Württemberg haben die IG Metall und die Betriebsräte allein dieses Jahr Jobsicherheit für die kommenden Jahre vereinbart, in der Regel verbunden mit konkreten Produkt- und Investitionszusagen. Allein dieser Fakt straft das Gerede einer angeblich beschäftigungsfeindlichen Mitbestimmung und Tarifautonomie Lügen.

Aber nicht in allen Fällen ist eine faire Aushandlung einer nachhaltigen Verbesserung der Beschäftigungsentwicklung möglich, oft ist die Erpressung der Belegschaften mit Standortentscheidungen, oft sind Mitnahmeeffekte vorherrschend.

Die IG Metall fordert die Arbeitgeber auf, sich der unternehmerischen Aufgabe zu stellen, Arbeitsplätze in Baden-Württemberg zu erhalten und zu schaffen.

Eine wesentliche Voraussetzung für die hoch integrierten und komplexen Zuliefernetzwerke im Lande ist der Flächentarif Er garantiert ein hohes Maß an industriellem Frieden.

Basis hierfür ist die Tarifautonomie und der Tarifvorbehalt. Wir fordern die Landesregierung auf, sich eindeutig für den Erhalt der Funktionsfähigkeit dieses Erfolgsmodells, einer auch durch Tarifrecht abgesicherten vernetzten Industrie einzusetzen. Wer daran zündelt, schadet Baden-Württemberg und seiner Zukunftsfähigkeit.

2. Wir brauchen einen Schub für neue Innovationen

Wir haben in den Thesen deutlich gemacht und mit Einzelvorschlägen hinterlegt, Baden-Württemberg braucht einen Schub in der Innovationsfähigkeit und Prozesseffizienz.

Dies bedeutet eine Neuorientierung der Innovations- und Technologiepolitik. Hier ist in den letzten Jahren eher ein Rückbau landespolitischer Aktivitäten in der Innovationsförderung, Anwendungsförderung und Partizipation von Gewerkschaften in der Innovations- und Technologiepolitik feststellbar.

Dies schmälert nicht unsere Anerkennung der Anstrengungen der Landesregierung nach Förderung auch neuer Cluster.

Wir halten einen breiten industriepolitischen Dialog zu den Zukunftschancen der wesentlichen Leitbranchen im Lande erforderlich. Dabei gehen wir davon aus, dass industriepolitische Ansätze für Baden-Württemberg nicht nur im nationalen Maßstab, sondern im Selbstverständnis eines Europas der Regionen angelegt sein müssen.

Innovationsfähigkeit und Prozesseffizienz setzt qualifiziertes und flexibles Personal voraus. Hier hat die baden-württembergische Metall- und Elektroindustrie an Vorsprung eingebüßt.

Dies beginnt mit der Reduzierung der Ausbildungsplätze in der Erstausbildung und der mangelnden Reform der dualen Ausbildung. Der Abbau von Ausbildungsplätzen in den vergangenen Jahren trägt nicht nur zur Unterversorgung auf dem Lehrstellenmarkt bei, sondern schadet angesichts der sinkenden Schulabgängerzahlen ab 2007 den Zukunftschancen einer Industrie, die dringend auf Fachkräfte angewiesen ist. Die IG Metall hat daher Südwestmetall aufgefordert, verbindliche Zusagen für jährlich „500 mal Zukunft“, d.h. 500 zusätzliche neue Ausbildungsplätze je Ausbildungsjahr bis 2007 zu treffen. Damit könnte wenigstens der Ausbildungsstand von 2001 übertroffen werden.

Wir müssen das duale System stützen und ausbauen. Nicht zuletzt auch aus beschäftigungspolitischer Sicht: Die niedrige Jugendarbeitslosigkeit im europäischen Vergleich ist vor allem dieser engen Verzahnung von Betrieb und Ausbildung zu verdanken.

Die Tarifvertragsparteien im Südwesten haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie bereit sind mit tarifpolitischen Pilotprojekten die Rahmenbedingungen für Qualifikation und Flexibilität zu verbessern.

Dazu gehört der Tarifvertrag zur Qualifizierung, dazu gehört aber im Besonderen ERA. Hier werden gänzlich neue Durchlässigkeiten auch für die Personalentwicklung im Unternehmen möglich. Ein Kernproblem von Prozessineffizienzen ist, dass die Personalpolitik der letzten Jahre hier ausschließlich auf Rekrutierung durch Hochschulabgänger setzte und die gesunde Mischung aus theoretischem und praktischem Wissen verloren ging

Hier kann auch die Landespolitik Beiträge leisten. Baden-Württemberg ist eines der wenigen Bundesländer ohne ein Angebot für den Hochschulzugang außerhalb der Begabtenprüfung. Wir fordern die Landesregierung auf, hier bildungspolitisch tätig zu werden und die Durchlässigkeit von der beruflichen Erstausbildung bis zur Hochschule für Berufstätige deutlich zu verbessern.

3. Wir brauchen eine Erhöhung der Erwerbsquote

Die auch in Baden-Württemberg niedrige Erwerbsquote, geraden von Älteren und Frauen, hemmt Wachstumspotentiale. Hier ist koordiniertes Handeln notwendig.

So ist angesichts älterer Belegschaften unabdingbar, dass gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen und die Praxis des lebenslangen Lernens zu den zentralen Herausforderungen von Tarifparteien und Politik werden.

Wir stellen fest, dass gerade hier der Spagat zwischen Sonntagsrede und Praxis unübersehbar ist. Wir haben erste Versuche in Großunternehmen, aber auch in Initiativen der Bundes- und Landesregierung, diese Thematik systematischer zu bearbeiten. Wir sehen aber auch, dass wir in der Praxis mit geradezu gegenläufigen Entwicklungen konfrontiert sind: Statt leistungspolitischer Entlastung durch längere Taktzeiten, Aufgabenwechsel oder Erholzeiten zur zeitnahen Kompensation von Belastungen, erleben wir in den Betrieben genau das Gegenteil. Ich meine: Es kann nicht sein, dass Unternehmen die Arbeitskraft der Beschäftigten vernutzen und die Folgeschäden dem Sozialstaat überlassen. Wer die hohe Produktivität will, die Beschäftigte erbringen, der muss sich um eine Leistungs- und Personalpolitik bemühen, die dies ohne gesundheitliche Schäden ermöglicht.

4. Wir müssen den Strukturwandel sozial gestalten

Der Strukturwandel in der Beschäftigung der Metall- und Elektroindustrie kann nicht aufgehalten werden. Er ist aber sozial zu gestalten.

Dies gilt insbesondere für un- und angelernte Kolleginnen und Kollegen. In hohem Maße finden wir hier Beschäftigte, die aus regional schwachen Arbeitsmärkten oder durch Anwerbung im Ausland in der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie Arbeit fanden.

Gerade diese Kolleginnen und Kollegen, deren Arbeitsplätze heute durch Verlagerungen gefährdet sind, haben durch ihre Leistung zur Stärke dieser Industrie beigetragen. Wer hier nach der Devise verfährt, der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen, handelt in hohem Maße unmoralisch.

Nun ist Moral im Wettbewerb eine mutige Kategorie. Dieser Mut fehlt zu vielen Arbeitgebern. Statt Verantwortung für die Beschäftigten zu zeigen, flüchten sie in ausländische Standorte. Renditehunger begründet Arbeitsplatzvernichtungsprogramme.

Ich sehe aber auch Arbeitgeber und Unternehmen, die Mut beweisen. Die IG Metall unterstützt Unternehmenskonzepte, die Perspektiven einfacher Produktionsarbeit bieten. Etwa durch die Ausnutzung von Produktivitätsvorteilen mit Modellen flexibler Arbeitsorganisation oder die Nutzung der Vorteile, die aus einer engen Verzahnung von Entwicklung und Produktion am Standort Deutschland entstehen oder durch Unternehmensstrategien, die auf Mischkalkulationen mit Standorten in Niedriglohnländern setzen.

Dass dies geht und erfolgreich geht, auch dafür stehen eine Reihe baden-württembergischer Unternehmen.

Dabei wird nicht jeder Arbeitsplatz erhalten werden können. Aber oft geht es darum, Zeiträume zu strecken und alternative Beschäftigungsoptionen zu finden. Hierzu war und ist die IG Metall immer bereit einen Beitrag zu leisten.

Beschäftigungsoptionen für Un- und Angelernte in den Betrieben der Metall- und Elektroindustrie gehen auch durch ein zunehmendes Outsourcen von Dienstleistungstätigkeiten verloren. Hier wandern die Tätigkeiten nicht ins Ausland, sondern in wenig gesicherte, oft prekäre Arbeitsverhältnisse. Daher diskutieren wir in der IG Metall Baden-Württembergs für konkret definierte betriebliche Funktionsbereiche, den Abschluss eines Dienstleistungs-Tarifvertrages, um diese Tätigkeiten auch künftig in den Betrieben der Metall- und Elektroindustrie zu halten.

5. Wir brauchen mehr Beteiligung der Beschäftigten und faire Aushandlungsprozesse

„Leistung gegen Teilhabe“ - das ist der Grundkonsens bundesdeutscher Arbeitsbeziehungen.
Die Brüderles und Rogowskis dieser Republik, aber auch Stimmen aus ihrer Partei, Herr Ministerpräsident, sind offensichtlich willens, diesen Grundkonsens durch ihre Angriffe auf die Mitbestimmung und Betriebsverfassung aufzukündigen.

Welch ein Anachronismus ! Die wissensbasierte Wirtschaft braucht den kreativen, Verantwortung tragenden, selbständigen und mitdenkenden Arbeitnehmer - und Teile der Politik setzen auf ihre Agenda-Programme seiner Entmündigung.

Die Krisen der letzten Jahre und auch Monate zeigen, dass durch Mitgestaltung und Mitbestimmung die Umbrüche bessert bewältigt werden können - und Teile der Politik fordern den Abbruch dieser Stabilitätsfaktoren für Veränderungsprozesse in Betrieben.

Eine moderne Arbeitsgesellschaft des 21. Jahrhunderts ist nicht kompatibel mit unkontrollierter Unternehmermacht.

Das Zusammenspiel von individuellen Beteiligungsrechten, Mitbestimmung in Betrieb und Unternehmen und Flächentarif ist ein Zukunftsmodell für eine zunehmend wissensbasierte und vernetzte Arbeitsgesellschaft. Hier gewinnen die menschlichen Fähigkeiten an Bedeutung, hier ist die Beteiligung der Menschen und faire Aushandlungsprozesse ein wesentliches Element für eine positive ökonomische Entwicklung und damit für die Sicherung der Beschäftigung.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

die IG Metall in Baden-Württemberg hat im Jahre 2004 die Zahl neu geworbener Mitglieder deutlich steigern können. Jedes zweite neue Mitglied ist heute Jugendlicher. Die Erwartungen dieser Mitglieder ist klar: Sorgt für gute Ausbildung, sichere Arbeitsplätze, ausreichende Einkommen und faire Arbeitsbedingungen, sorgt für Zukunftschancen für uns und unsere Familien.

Ich hoffe, dass wir mit den Impulsen aus dieser Konferenz einen weiteren Beitrag hierzu leisten können.

Letzte Änderung: 31.10.2007