Sie halbierten sein Gehalt

Janusz Eichendorff

17.07.2024 VERGÜTUNG VON BETRIEBSRÄTEN - Seit über einem Jahr bekommt Janusz Eichendorff nur noch sein halbes Gehalt. Der Wohnmobilbauer Hymer will den Betriebsrat damit kleinkriegen.

Möglich wurde das durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs. Die IG Metall steht hinter Janusz und fordert: Betriebsrat zu sein darf keinen Nachteil haben.

Stell Dir vor, Deine Firma streicht Dir fast die Hälfte Deines Gehalts, nur weil Du ein engagierter Betriebsrat und Gewerkschafter bist.
Genau das ist Janusz Eichendorff, Betriebsratsvorsitzender des Wohnmobilbauers Hymer, passiert: Letztes Jahr im April gruppierte ihn sein Arbeitgeber massiv ab, in die Lohngruppe, die er bis zu seiner Wahl als Betriebsrat 2006 hatte, als er noch als Wohnmobilbauer arbeitete.

Dabei hat er sich seitdem zum Vorsitzenden des Euro- und Konzernbetriebsrats weiterentwickelt und ist für fast 9000 Beschäftigte verantwortlich. Janusz klagte gegen die Gehaltskürzung - und gewann: Im Januar entschied das Arbeitsgericht Ravensburg: Hymer muss Janusz sein volles Gehalt zahlen, rückwirkend.
Doch die Firma denkt nicht daran und hat Berufung eingelegt. Jetzt geht es
zum Landesarbeitsgericht.

Hymer will Betriebsrat kleinkriegen

"Die wollten mir schon öfter kündigen", berichtet der in Polen geborene Kunsthandwerker. Er ist der Geschäftsführung ein Dorn im Auge: In Tarifrunden sind die Beschäftigten bei Hymer im baden-württembergischen Bad Waldsee immer zu Warnstreiks vorm Tor. Als Eurobetriebsrat organisiert Janusz den Zusammenhalt der Beschäftigten aller Standorte des Hymer-Konzerns (unter anderem Bürstner, Carado und Dethleffs). Als Konzernbetriebsratsvorsitzender leitete er die Wahl eines Betriebsrats im zu Hymer gehörenden Capron-Werk in Neustadt (Sachsen - Sunlight, Carrado) ein. Immer wieder kam er zu Betriebsversammlungen und ermutigte die Beschäftigten dazu, sich zu organisieren und schließlich einen Tarifvertrag in Neustadt zu erkämpfen.

Dabei geht es immer wieder vor Gericht: Mittlerweile sind es über 100 Verfahren, weil die Geschäftsführung gegen Gesetze und Tarifverträge verstößt und die Mitbestimmung des Betriebsrats missachtet.
Im Boom während der Coronapandemie etwa verfügte die Firma von oben einseitig Überstunden und Samstagsarbeit. Auf Kosten der Gesundheit der Beschäftigten, kritisiert Frederic Striegler, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Friedrichshafen. "Es gab Hunderte Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz."
Doch statt gemeinsam nach Lösungen zu suchen, heuert die Geschäftsführung teure Rechtsanwälte an und nimmt Janusz zunehmend ins Visier. Sie überprüfen seine Reisekosten, wollen ihm Steuerhinterziehung anhängen. Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) Anfang 2023 kommt für die Geschäftsführung wie gerufen.

BGH-Urteil gegen Betriebsräte

Betriebsräte dürfen laut Gesetz weder Vor- noch Nachteile haben. Ihr Entgelt darf nicht geringer bemessen werden als das vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Genau so hat das Janusz bereits 2018 mit seiner Personalleitung geregelt: Seine Vergütung orientierte sich an ehemaligen Kollegen im Prototypenbau, die sich ähnlich wie er weiterentwickelt haben.
Doch Anfang 2023 entscheidet dann der BGH, dass die Vergütung von Betriebsräten auf Basis einer "hypothetischen Karriere" eine strafbare Begünstigung sei. Viele Unternehmen kürzen in der Folge ihren Betriebsräten das Geld. Einige aus Angst vor Strafen. Andere jedoch, wie Hymer, um unliebsame Betriebsräte wie Janusz kleinzukriegen.

Die IG Metall Baden-Württemberg und sogar der Arbeitgeberverband haben versucht, eine friedliche Einigung herbeizuführen. Doch der Hymer-Vorstandsvorsitzende bleibt stur.

"Sie wollen Janusz zermürben und ein Exempel an ihm statuieren", kritisiert der
bekannte Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler, der Janusz seit vielen Jahren berät, gemeinsam mit seiner Frau, der früheren Justizministerin Herta Däubler-Gmelin. "Dabei ist Janusz derjenige, der stets versucht, sich friedlich zu einigen. Doch die Firma verbrennt lieber Geld in Prozessen und Einigungsstellen."

Noch wichtiger als der juristische Beistand ist aus Däublers Sicht die Solidarität, die Janusz erfährt - in der Belegschaft, im Betriebsrat und in der IG Metall. Metallerinnen und Metaller aus anderen Betrieben kamen etwa zu seinem Prozess beim Arbeitsgericht.

Ein neues Gesetz muss her

Die IG Metall fordert eine Verbesserung des Gesetzes zur Vergütung von Betriebsräten. Viele Betriebsräte haben dazu mit Abgeordneten gesprochen. Auch Janusz hat viele Gespräche geführt. Und sein Kollege im Ortsvorstand der IG Metall Friedrichshafen, Achim Dietrich, Betriebsratsvorsitzender von ZF, trug als Sachverständiger im Bundestag Janusz' Fall vor.

Das neue Gesetz soll eine faire Vergütung für Janusz und die gut 11 000 anderen
Betriebsräte in Deutschland durch eine Betriebsvereinbarung rechtssicher regelbar machen.

Für Janusz geht der Kampf weiter

Zwar hat er in erster Instanz gewonnen, doch bis zur Entscheidung beim Landesarbeitsgericht zahlt ihm Hymer weiterhin nur das gekürzte Entgelt. Er hat Familie und ein Haus abzubezahlen. Nebenher arbeitet er als Referent bei der IG Metall Friedrichshafen, um sich etwas dazuzuverdienen. Der leidenschaftliche Handwerker lässt sich nicht unterkriegen. Er saniert sein Haus und baut ein altes Wohnmobil aus. Er schreinert, polstert und lackiert selbst. Sein alter angerosteter VW-Transporter sieht aus wie ein Baustellenauto: voll mit Werkzeug und Material.

"Ich sehe immer noch Wohnmobile auf der Straße, die ich als Prototypen mitentwickelt habe", erklärt Janusz stolz. Er mag seine Arbeit und seinen Betrieb. Dabei haben sie ihm schon öfter viel Geld angeboten, um ihn rauszukaufen. Das kommt für Janusz nicht infrage. "Mit einer Abfindung gehen, wenn Menschen an Dich glauben, das kannst Du nicht machen."

Hintergrund-Info:

WIE VIEL VERDIENEN BETRIEBSRÄTE?

  • Laut Betriebsverfassungsgesetz dürfen Betriebsräte weder bevorteilt noch benachteiligt werden. Doch als Betriebsrat kann ich mich beruflich weniger weiterentwickeln, besonders wenn ich freigestellt bin. Daher sieht das Gesetz eine Vergütung vor, die sich an vergleichbaren Arbeitnehmern und ihrer Entwicklung orientiert.
  • Der Bundesgerichtshof (BGH) urteilte Anfang 2023, dass die Vergütung von Betriebsräten anhand einer "hypothetischen Karriere" eine strafbare Begünstigung sei. Das sorgte für Rechtsunsicherheit, in deren Folge viele Unternehmen ihren Betriebsräten die Gehälter kürzten.
  • In mehreren Gerichtsurteilen erstritten Betriebsräte mithilfe der IG Metall ihre Vergütung zurück.
  • Die IG Metall fordert eine Verbesserung des Gesetzes und hat dazu auch Gespräche in Berlin geführt: Betriebsrat und Arbeitgeber sollen die Vergütung rechtssicher durch eine Betriebsvereinbarung regeln können.

Dieser Artikel stammt aus dem metall Magazin 7/8. Er ist auch hier im Anhang zu finden.

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Anhang:

Sie halbierten sein Gehalt - Janusz Eichendorff

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Letzte Änderung: 16.07.2024