1933: Zerschlagung der Gewerkschaften
2. Mai 1933, überall in Deutschland: Nazi-Schlägertrupps stürmen die Gewerkschaftshäuser, plündern, morden. Der Untergang der Gewerkschaften besiegelt das Ende der Republik - und hält auch heute eine Lehre bereit.
Es ist ein fataler Irrtum: In den Monaten nach Adolf Hitlers "Machtergreifung" hoffen die freien Gewerkschaften noch, dass der "Nazispuk" bald wieder vorbei wäre - so wie die ständig wechselnden Regierungen in den Jahren zuvor. "Organisation statt Demonstration" und "Ruhe bewahren" sind die Losungen, ausgegeben von der Führung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB).
Doch am 2. Mai 1933 zerschlagen sich alle Hoffnungen.
Überall im Land fahren an diesem Tag SA-Kommandos vor den Gewerkschaftshäusern vor. Sie stürmen die Gebäude, plündern und verwüsten, hissen die Hakenkreuzfahne.
"Die Nazis kamen in mehreren Bussen, mit Massen von SA-Burschen aus der ganzen Umgebung", erinnerte sich der mittlerweile verstorbene Hans Schwert, der die Erstürmung des Gewerkschaftshauses in Frankfurt am Main von außen beobachtete. "Sie traten die Türen ein und schlugen die Kollegen auf die Straße heraus."
Vielen sei erst an diesem Tag wirklich klargeworden, was in Deutschland vor sich gehe, so der Gewerkschafter, der später selbst jahrelang in NS-Haft saß.
Tausende werden an diesem Tag misshandelt und verhaftet. Einige werden an Ort und Stelle ermordet. Andere verschwinden in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern (KZ).
Die Nazis beschlagnahmen das Vermögen der Gewerkschaften und überführen es in die neu gegründete Deutsche Arbeitsfront (DAF). Von nun an gibt es keine freie Interessenvertretung und keine Mitbestimmung für Beschäftigte mehr.
Kurz darauf verbieten die Nazis auch die SPD und die Arbeiterwohlfahrt - und beseitigten damit die letzten verbliebenen Organisationen der Arbeiterbewegung.
Geschwächte Gewerkschaften
Die Gewerkschaften sind zu diesem Zeitpunkt stark geschwächt. Sie haben 1933 weniger als halb so viele Mitglieder wie 1920. Fast die Hälfte der verbliebenen Mitglieder ist ohne Beschäftigung. Das schmälert die Wucht eines Generalstreiks, wie ihn vor allem die Kommunisten fordern.
Dazu kommt die offensichtliche Gewaltbereitschaft der Nazis: Den Gewerkschaften stehen eine halbe Million bewaffneter SA-Leute gegenüber. Auf die erzkonservativ geführte Reichswehr können sie nicht zählen.
Also versuchen sie es mit Anpassung. In einem Schreiben an die Regierung erklärt sich der ADGB im April 1933 bereit, seine Organisation "in den Dienst des neuen Staates zu stellen".
Die Idee hinter diesem Kurs: Offener Widerstand würde den Nazis einen Vorwand zum Staatsstreich geben. Der ADGB will den Boden der Verfassung nicht verlassen - obwohl die Nazis das längst getan haben und nur noch den Anschein von Legalität aufrechterhalten.
Geklauter Tag
Am Tag vor der Zerschlagung, verdreht Hitler den Kampftag der Arbeiterbewegung zum "Tag der nationalen Arbeit". Der 1. Mai ist zum ersten Mal gesetzlicher Feiertag - mit Lohnfortzahlung.
Auf dem Tempelhofer Feld in Berlin organisieren die Nazis ein gigantisches Propagandaspektakel mit rund einer Million Teilnehmenden, inklusive Flugschau und Feuerwerk. Tausende Gewerkschaftsmitglieder marschieren zähneknirschend mit.
Doch da ist ihre Vernichtung längst beschlossen. Hitler und sein Propagandaminister Goebbels haben den Plan für den 2. Mai schon Mitte April in der Tasche. In einem geheimen Rundschreiben an alle Nazi-Abteilungen heißt es: "Dienstag, den 2. Mai 1933, vormittags 10 Uhr, beginnt die Gleichschaltung gegen die Freien Gewerkschaften".
Die Diktatur kommt schneller und brutaler, als es die Führung der Gewerkschaften je erwartet hätte. Kaum mehr als drei Monate ist es her, dass Reichspräsident Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannt hat. Da sind die Nazis eigentlich schon wieder auf dem absteigenden Ast. Bei der Reichstagswahl im November 1932 hatte die NSDAP nur noch 32 Prozent erreicht - fünf Prozent weniger als im Juli 1932. Doch konservative Politiker und Unternehmer überreden Hindenburg, die Macht an Hitler zu übergeben.
Mit der Brechstange
In den Wochen nach dem 30. Januar 1933 krempeln die Nazis den Rechtsstaat mit der Brechstange um. Verwaltung und Polizei werden "gesäubert" und auf Nazilinie getrimmt. Von links nach rechts schalten die Nationalsozialisten alle Gegner aus: Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Juden werden terrorisiert, misshandelt und in erste provisorische Konzentrationslager verschleppt. Republik und Rechtsstaat sind schon wenige Wochen nach Hitlers Regierungsantritt tot.
Schon vor dem 2. Mai überfallen die Nazis einzelne Gewerkschaftshäuser. Laut einem Schreiben des ADGB an Reichspräsident Hindenburg sind im März 1933 bereits 25 Gewerkschaftshäuser dauerhaft besetzt.
Mit dem "Ermächtigungsgesetz" vom März 1933 entmachtet die Nazi-Regierung das Parlament. Die nötige Zweidrittelmehrheit im Reichstag erreichen die Nazis, indem sie die Kommunistische Partei verbieten und ihre Mandate kassieren. Die SPD stimmt gegen das Gesetz. Viele Abgeordnete, darunter zahlreiche Gewerkschafter, bezahlen ihren Mut später mit dem Tod im KZ. (siehe Link 1)
Aus der Geschichte lernen
In den Zuchthäusern und KZs treffen sich Gewerkschafter verschiedener Richtungen - Sozialdemokraten, Kommunisten und Christen. Zu Zeiten der Weimarer Republik waren sie verfeindet. Nun erkennen sie, dass ihre Uneinigkeit den Nazis den Weg geebnet hat. Gemeinsam leisten sie Widerstand.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gründen sie neue "Einheitsgewerkschaften" (siehe Link 2), in denen alle politischen Richtungen vertreten sind. Nie wieder soll die Arbeiterbewegung zersplittert sein, und damit schwach. Der fatale Irrtum vom Frühjahr 1933 soll sich nie wiederholen.
Willi Bleicher
Einer der Gewerkschafter, der verfolgt und inhaftiert wurde, war Willi Bleicher (1907 - 1981). Der ehemalige IG Metall-Bezirksleiter in Baden-Württemberg (1959 bis 1972) war unter den Nazis viele Jahre in Haft. Er trat stets
für soziale Gerechtigkeit und Menschlichkeit ein, in seiner Haft im KZ Buchenwald ebenso wie in der Arbeitswelt. Durch die Rettung des dreijährigen Stefan Jerzy Zweig, des "Kindes von Buchenwald", wurde Bleicher über
Deutschland hinaus bekannt.
Ihm zu Ehren verleiht die IG Metall Baden-Württemberg jedes Jahr den Willi-Bleicher-Preis an Journalistinnen und Journalisten, die mit ihrer Arbeit die Arbeitswelt für Leser, Hörer und Betrachter erlebbar machen.
Ausschreibung 2023 und Infos siehe Link 3
Links:
In die Illegalität gedrängt. Zur Flucht gezwungen. Ermordet. GewerkschafterInnen - Nazi-Herrschaft
Willi-Bleicher-Journalismuspreis 2023
Letzte Änderung: 28.04.2023