Einigung oder Streik

IG Metall Interview

03.05.2007 Interview mit dem IG Metall Bezirksleiter Jörg Hofmann in der Frankfurter Rundschau am 3. Mai 2007 - Das Gespräch führte Eva Roth.

Frankfurter Rundschau: Herr Hofmann, was haben die Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie bisher gebracht?

Jörg Hofmann: Allein in Baden-Württemberg haben am Montag bis zum Abend über 60 000 Menschen die Arbeit zeitweise niedergelegt. Das zeigt, wie viel Druck im Kessel ist. Wir brauchen jetzt möglichst schnell einen vernünftigen Lohnabschluss.

FR: Sie versuchen heute, zusammen mit den Arbeitgebern den Metall-Tarifkonflikt zu lösen. Wie groß ist die Chance, dass Sie sich auf einen Lohnzuschlag für die Beschäftigten verständigen?

JH: Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 50 zu 50. Es gilt, einen Kompromiss zu finden. Einerseits liegen die Positionen noch weit auseinander. Andererseits ist es sinnlos, das Problem länger auszusitzen, die Argumente sind ausgetauscht. Klar ist, dass beide Seiten unter enormem Druck stehen. Die Arbeitgeber können sich keinen langen Arbeitskampf erlauben. Und auch für uns ist ein Streik nicht sonderlich erstrebenswert, das muss die Ultima Ratio bleiben.

FR: Wo ist die IG Metall kompromissbereit?

JH: Wir haben 6,5 Prozent mehr Geld für zwölf Monate gefordert. Wir können uns aber auch vorstellen, dass der Tarifvertrag über 18 Monate läuft. Dann müsste man allerdings zwei Lohnerhöhungen vereinbaren. Die entscheidende Frage ist dabei: Wie hoch ist der dauerhafte Lohnzuschlag für die Beschäftigten bis September 2008?

FR: Können Sie sich vorstellen, dass der gesamte Zuschlag für 18 Monate unter vier Prozent liegt?

JH: Nein, mit Sicherheit nicht.

FR: Peilen Sie insgesamt fünf Prozent an?

JH: Wenn ich den Chemie-Abschluss auf 18 Monate hochrechne, dann komme ich auf etwas unter fünf Prozent. Aber Chemie ist kein Maßstab. Die Konjunktur in der Metall- und Elektroindustrie ist deutlich besser. Daran orientieren wir uns.

FR: Die Arbeitgeber plädieren für einen Konjunkturbonus von 0,5 Prozent, der nur ein Jahr lang gezahlt wird. Bisher lehnen Sie das ab - obwohl sie schon öfter Einmalzahlungen akzeptiert haben. Warum?

JH: Wir können uns sehr wohl vorstellen, dass wir auch diesmal eine Einmalzahlung vereinbaren. Das Problem liegt woanders: Die Arbeitgeber wollen den Konjunkturbonus als Ersatz für eine dauerhafte Lohnerhöhung. Und das wird es mit uns nicht geben. Schließlich steigen die Preise und die Produktivität auch dauerhaft.

FR: Die wirtschaftliche Lage der Betriebe ist unterschiedlich. Deswegen schlagen die Arbeitgeber vor, dass das Weihnachtsgeld künftig zwischen 40 und 70 Prozent schwanken kann. Zurzeit liegt es bei 55 Prozent...

JH: Ich kann Ihnen versichern, dass wir das Weihnachtsgeld nicht flexibilisieren werden. Das wäre ein Eingriff in bestehende Ansprüche. Hinzu kommt: Betriebe können bereits von Tarifstandards abweichen, etwa, wenn sie in Not sind oder wenn sie Großinvestitionen planen und so Arbeitsplätze schaffen. Allerdings sind diese Abweichungen nur möglich, wenn die IG Metall zustimmt.

FR: Die Gewerkschaften haben in den vergangenen Jahren moderate Lohnzuschläge akzeptiert - jetzt ist der Aufschwung da. Riskieren Sie, dass Wachstum und Jobaufbau durch hohe Zuschläge gebremst werden?

JH: Dieser Vorwurf läuft ins Leere. Die IG Metall hat klare, nachvollziehbare Kriterien für ihre Lohnpolitik. Wir orientieren uns am gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs und an der Inflation. Das haben wir früher getan und das tun wir heute.

FR: Viele Beschäftigte werden nicht von dem Lohnzuschlag profitieren, weil sie Zeitarbeiter sind oder weil ihr Betrieb den Arbeitgeberverband verlassen hat. Nimmt die IG Metall das hin, nach dem Motto: Hauptsache, unsere Kernklientel kriegt was ab?

JH: Für uns ist es schwierig, gute Tarifverträge für Zeitarbeiter durchzusetzen, weil wir in der Branche nicht sehr stark sind. Hinzu kommt, dass christliche Gewerkschaften Dumping-Verträge akzeptiert haben. Wir sind aber in vielen Betrieben, die Leiharbeiter anfordern, aktiv. Dort versuchen wir, bessere Arbeitsbedingungen für die Leute durchzusetzen. Und wir plädieren für einen Mindestlohn für diesen Sektor.

FR: Welche Bedeutung hat der Metall-Abschluss für andere Branchen?

JH: Das Ergebnis hat eine wichtige Orientierungsfunktion für andere Branchen, schließlich sind für uns gesamtwirtschaftliche Größen wie die Teuerung eine wichtige Messlatte. Wenn wir ein gutes Ergebnis erzielen, dann hilft das auch den Kollegen im Einzelhandel oder der Druckindustrie, wo zurzeit verhandelt wird.

FR: Und was geschieht, wenn Sie sich heute oder morgen nicht auf einen Lohnzuschlag verständigen?

JH: Die Alternative lautet: Einigung oder Streik. Entweder uns gelingt eine Lösung oder wir müssen das Scheitern der Verhandlungen erklären. Wir würden dann beim IG-Metall-Vorstand eine Urabstimmung über einen unbefristeten Streik beantragen.

FR: Wird es in einem anderen Bezirk noch einen Einigungsversuch geben, wenn sich bei Ihnen nichts tut?

JH: Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass anderswo ein Abschluss gelingt, wenn wir in Baden-Württemberg nicht weiter kommen.

Jörg Hofmann ist Chef der IG Metall in Baden-Württemberg. Der 51-Jährige versucht heute zusammen mit dem Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Stefan Roell, den Tarifkonflikt in der Metall- und Elektrobranche zu lösen.

Die Positionen: Die IG Metall fordert für die 3,4 Millionen Beschäftigten 6,5 Prozent mehr Geld. Sie ist inzwischen bereit, eine relativ lange Laufzeit des Tarifvertrags zu akzeptieren. Die Arbeitgeber bieten 2,5 Prozent und 0,5 Prozent für ein Jahr.

Die Warnstreiks erreichten gestern einen ersten Höhepunkt. Zehntausende verliehen ihrer Forderung nach mehr Geld Nachdruck. Bis zum Abend wollte die IG Metall bis zu 100 000 Arbeitnehmer mobiliseren. Bestreikt wurden zum Beispiel die Autofirmen BMW, Daimler-Chrysler, Audi und Porsche.

Letzte Änderung: 16.04.2008