IG Metall Pressedienst 48/2012

IG Metall Pressedienst

19.05.2012 Tarifkonflikt beigelegt - Beschäftigte erhalten 4,3 Prozent mehr Geld, Azubis werden unbefristet übernommen, Betriebsräte können bei Leiharbeit mitbestimmen - Tagesschau und SWR Landesschau

Tarifkonflikt 2012 in der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg beigelegt

Nach insgesamt 37-stündigen Verhandlungen haben sich die Tarifparteien der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie in der Nacht zum 19. Mai in der fünften Verhandlungsrunde auf einen neuen Tarifvertrag verständigt.

Demnach steigen die Entgelte für die 800.000 Beschäftigten der Branche ab 1. Mai 2012 um 4,3 Prozent. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit bis Ende April 2013. Außerdem haben die Tarifvertragsparteien die unbefristete Übernahme der Ausgebildeten sowie eine stärkere Mitsprache der Betriebsräte beim Einsatz von Leiharbeit vereinbart. Und mit der Vereinbarung "Vom Einstieg zum Aufstieg" bauen die Tarifparteien jungen, noch nicht ausbildungsreifen Schulabsolventen eine Brücke für den Einstieg in ein reguläres Ausbildungsverhältnis.

IG Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann

Jörg Hofmann, IG Metall-Bezirksleiter in Baden-Württemberg, bezeichnete das gefundene Tarifergebnis als Erfolg für die IG Metall. "Die dauerhafte Erhöhung der Entgelte beteiligt die Belegschaften am wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen und sichert den Beschäftigten reale Entgeltzuwächse", sagte er dazu im Anschluss an die Verhandlungen auf einer Pressekonferenz. Auch hätten die Arbeitgeber ihre Totalverweigerung zu den qualitativen Themen wie Übernahme der Ausgebildeten und Leiharbeit endlich aufgegeben.

Hofmann: "Die neuen Tarifregelungen machen die Branche dauerhaft zu einem attraktiven Ausbildungsfeld. Der jetzt vereinbarte Grundsatz der unbefristeten Übernahme der Ausgebildeten sichert zudem der jungen Generation eine Perspektive in den Berufen der Metall- und Elektroindustrie. Gleichzeitig schaffen sie auch Zukunft, denn Auszubildende müssen in allermeisten Fällen nicht mehr mit Unsicherheit nach bestandener Abschlussprüfung kämpfen."

Auch beim Thema Leiharbeit habe die IG Metall gewaltige Fortschritte erreicht, so Hofmann. Und obwohl sich die Arbeitgeber lange Zeit allen Regelungen der Leiharbeit komplett verweigert hätten, sei es nun erstmals gelungen, die Einsatzbedingungen von Leiharbeitern in einem Tarifvertrag zu beschreiben. "Das stärkt die Position unserer Betriebsräte gewaltig. Es ist ein wichtiger Schritt dahin, die unternehmerische Willkür, Lohndumping sowie das Verdrängen von Stammarbeitsplätzen beim Einsatz von Leiharbeit zu beenden", sagte Hofmann.

Hofmann betonte, dieses Ergebnis wäre ohne die rund 237.000 Warnstreikenden im Südwesten kaum möglich gewesen. "Es war letztlich der Druck aus den Betrieben, der die knallharten Positionen der Arbeitgeber aufgeweicht hat."

Am kommenden Montag, 21. Mai, kommt die Große Tarifkommission in Sindelfingen zusammen, um über das Tarifergebnis zu beraten.

Unbefristete Übernahme der Ausgebildeten geregelt

IG Metall und Südwestmetall haben außerdem die unbefristete Übernahme der Ausgebildeten als Grundsatz vereinbart. Gleichzeitig erklären beide Tarifvertragsparteien, dass sie davon ausgehen, dass die Zahl der Ausbildungsplätze gesteigert wird, zumindest aber konstant bleibt.
Einer unbefristeten Übernahme stehen höchstens so genannte personenbedingte Gründe sowie akute Beschäftigungsprobleme eines Unternehmens entgegen.
Der genaue Bedarf an Ausbildungsplätzen wird von den Betriebsparteien im Rahmen der Personalplanung ermittelt und festgelegt. Für die gemäß dieser Betriebsvereinbarung im Rahmen des Bedarfs Ausgebildeten, besteht der Anspruch auf unbefristete Übernahme.

Soweit keine entsprechende Betriebsvereinbarung zum Ausbildungsbedarf vor Ausbildungsbeginn zu Stande kommt, müssen Betriebsrat und Arbeitgeber mindestens sechs Monate vor Ende der Ausbildung den absehbaren Bedarf ermitteln. Dabei muss die absehbare künftige wirtschaftliche Entwicklung, das Produktportfolio, die Auftragslage sowie die mittelfristige personelle Bedarfssituation berücksichtigt werden.

Auch hier werden Ausgebildeten im Rahmen des Bedarfs unbefristete Arbeitsverhältnis angeboten. Ansonsten muss der Arbeitgeber für mindestens 12 Monate übernehmen. Drei Monate vor Auslaufen dieses befristeten Arbeitsvertrages muss die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung geprüft werden.
Hat ein Unternehmen akute Beschäftigungsprobleme, kann von der Übernahme eines Ausgebildeten in ein unbefristetes oder befristetes Arbeitsverhältnis abgesehen werden. Der Betriebsrat muss diesem zustimmen. Wird die Zustimmung verweigert, kann der Arbeitgeber eine tarifliche Schlichtungsstelle beantragen.

Der Tarifvertrag kann erstmals Ende 2014 gekündigt werden.

Betriebsräte können bei Leiharbeit mitbestimmen

Die Arbeitgeber haben zudem ihre Blockadehaltung beim Thema Leiharbeit aufgegeben. In dem neuen Tarifvertrag werden die Rahmenbedingungen beschrieben, unter denen Leiharbeit in den tarifgebundenen Betrieben der baden-württembergischen Metall und Elektroindustrie eingesetzt werden kann.
Leiharbeit darf demnach künftig nur dann eingesetzt werden, wenn dadurch die Entgelt- und Arbeitsbedingungen im Entleihbetrieb nicht bedroht werden. Auch dürfen dort durch den Einsatz von Leiharbeit keine Arbeitsplätze gefährdet werden.

Der Einsatz von Leiharbeitnehmern ist außerdem nur zulässig, wenn er zeitlich befristet ist, ein Sachgrund vorliegt oder Auftragsspitzen abzuarbeiten sind. Als Sachgrund gilt, wenn z.B. Fachkräfte benötigt werden, deren spezielle Qualifikation im Betrieb nicht vorhanden ist oder Vertretungsfälle wie Krankheit oder Schwangerschaften. Der Betriebsrat muss dem Einsatz eines Leiharbeiters zustimmen.

Zudem muss ein Arbeitgeber künftig mit dem Betriebsrat verhandeln, wenn dieser den Einsatz von Leiharbeit und die Ausgestaltung der betrieblichen Flexibilität regeln will. Dann können in einer Betriebsvereinbarung Einsatzzwecke, Einsatzbereiche und Volumen von Leiharbeit im Betrieb geregelt werden. Dort können außerdem die Höhe der Vergütung der Leiharbeiter sowie die Höchstdauer des Einsatzes und Übernahmeregeln vereinbart werden.
Kommt es zu einer entsprechenden Betriebsvereinbarung, kann im Gegenzug eine Ausweitung der Quote der Beschäftigten mit 40-Stunden-Verträgen um bis zu 12 Prozent zu erhöhen. Im selben Umfang müssen dagegen auch Vollzeitarbeitsverträge mit 30 Stunden zur Verfügung gestellt werden.

Besteht keine entsprechende Betriebsvereinbarung, muss der Entleihbetrieb nach spätestens 18 Monaten prüfen, ob er dem Leiharbeiter ein Arbeitsverhältnis anbieten kann. Dieses Angebot hat jedoch spätestens nach 24 Monaten zu erfolgen.

Künftig muss der Betriebsrat regelmäßig über den Umfang und die Einsatzbereiche von Leiharbeit informiert werden. Soll ein Leiharbeiter länger als drei Monate eingesetzt werden, kann der Betriebsrat eine innerbetriebliche Stellenausschreibung verlangen, wodurch der Einsatz den Regeln der betrieblichen Mitbestimmung unterliegt.

Vom Einstieg zum Aufstieg

Die Tarifvertragsparteien räumen der beruflichen Entwicklung durch Weiterbildung einen hohen Stellenwert ein. Mit der Sozialpartnervereinbarung "Vom Einstieg zum Aufstieg" bauen sie jetzt jungen und noch nicht ausbildungsreifen Schulabsolventen eine Brücke für den Einstieg in ein reguläres Ausbildungsverhältnis.

Ziel ist es, bei jungen Menschen Lerndefiziten die für den Einstieg in das Berufsleben benötigten Kompetenzen auszubauen. Die Jugendlichen absolvieren ein Förderjahr, in dem sie zur Ausbildungsreife für einen Beruf in unserer Branche geführt werden sollen. In dem Jahr werden praktische Erfahrungen im Betrieb mit Modulen in der Berufsschule und Seminaren kombiniert.

Das Einstiegsjahr endet mit einem Sozialpartnerzertifikat, das betriebliche Qualifikationen bescheinigt. Zielgruppe sind Jugendliche mit mindestens einem Hauptschulabschluss, insbesondere aufgrund ihrer sozialen Herkunft und prekärer Lebensverhältnisse, Migrationshintergrund und schlechte Deutschkenntnisse, Jugendliche von Brennpunktschulen, Ausbildungsabbrecher und Jugendliche ohne Ausbildungsplatz.

Letzte Änderung: 21.05.2012