Mehr als Kaffee- und Pinkelpausen

Aktiv für Tarif

30.01.2006 "Man kann die Arbeitnehmer nicht nur zur Kasse bitten" - Interview mit Jörg Hofmann im Mannheimer Morgen vom 26. Januar 2006

IG-Metall Bezirksleiter Jörg Hofmann zur Forderung der Gewerkschaft, drohenden Streiks sowie Kaffee- und Pinkelpausen.

Der Welt größte freie Einzelgewerkschaft macht mobil. In der anstehenden Tarifrunde will die IG Metall kräftige Lohnerhöhungen für ihre Mitglieder herausschlagen. Dies sei auch im Interesse des Landes, sagt der baden-württembergische Bezirksvorsitzende Jörg Hofmann.

Mannheimer Morgen:
Glückwunsch! Das neue Unwort des Jahres stammt angeblich aus Ihrer Metall-Tarifrunde. Also haben zumindest Sie "Entlassungsproduktivität" schon mal gehört?

Jörg Hofmann:
Ja, ich muss mich leider oft mit diesem Begriff auseinandersetzen. "Entlassungsproduktivität" gehört zum Lieblingsjargon der Metall-Arbeitgeber.

MaMo:
Was wollen die Ihnen damit sagen?

JH:
Dass die von uns reklamierten Produktivitätszuwächse nicht simmen würden, da ja ein Teil davon nur über Beschäftigungsabbau realisiert worden sei. Also dürften wir daraus keine hohen Lohnforderungen ableiten. Diese Logik hat sich mir nie erschlossen.

MaMo:
Also fordern Sie unverdrossen fünf Prozent mehr Lohn?

JH:
Wir haben in der Metall- und Elektoindustrie gerade hier in Baden-Württemberg hervorragende Produktivitätszuwächse. Die machen sich aber leider nur in Unternehmensgewinnen bemerkbar, nicht in Neueinstellungen. Die Unternehmer verfolgen immer höhere Renditeziele, und wenn sie ihr Geld inverstieren, dann häufig lieber im Ausland oder auf den Finanzmärkten.

MaMo:
Jetzt wollen Sie ein Stück vom Kuchen?

JH:
Nicht nur für uns: Die Unternehmen entziehen mit ihren Erträgen unserer Volkswirtschaft Geld, das wir zur Stärkung der Kaufkraft dringend brauchen. Man kann die Arbeitnehmer nicht immer nur zur Kasse bitten.

MaMo:
Dass die Konkunktur unter der schwachen Binnennachfrage leidet, ist Konsens. Sogar CSU-Bundeswirtschaftsminister Michael Glos macht sich für höhere Löhne stark. Gibt Ihnen das Auftrieb in der Tarifrunde?

JH:
Momentan ist das öffentliche Umfeld in der Tat recht positiv. Aber das macht uns nicht übermütig. Die Stimmung könnte bald wieder anders sein ...

MaMo:
... wenn Sie das Land mit Streiks überziehen und das Wachstum ausbremsen?

JH:
Ich möchte nicht vor der ersten Verhandlungsrunde über einen Arbeitskampf spekulieren. Die Sturheit der Arbeitgeber ist zwar bekannt. Aber wir werden versuchen, ihnen in den Verhandlungen etwas Bodenhaftung zu vermitteln.

MaMo:
Aber Sie haben doch bestimmt schon einen Plan B in der Schublade: flächendeckende Streiks oder punktuelle Schläge?

JH:
Unser flexibles Streikkonzept von 2002 hat sich bewährt. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten. Das entscheiden wir, wenn es soweit ist. Noch hoffe ich auf die Vernunft der Arbeitgeber.

MaMo:
Baden-Württemberg ist traditionell ein gutes Pflaster für Pilotabschlüsse. Doch diesmal haben Sie mit dem Streit über die nur hier existierende "Steinkühler-Pause" einen zusätzlichen Klotz am Bein ...

JH:
Sie meinen die fünfminütige Erholungszeitpause pro Stunde. Es ist doch wichtig, dass es menschliche Arbeitsbedingungen gibt. Gleichzeitig haben wir in Baden-Württemberg auch die produktivsten und ertragreichsten Unternehmen unserer Branche. Es ist nur human, wenn die Beschäftigten auch mal Pause machen oder ein Bedürfnis erledigen können.

MaMo:
Für "Bedürfnisse" gibt es doch drei Minuten extra, vulgo die "Pinkelpause" ...

JH:
Deren Berechtigung wird von niemandem in Frage gestellt. In einem Büro würde es doch auch keinem einfallen, für die Zeit, in der man auf die Toilette geht oder einen Kaffee trinkt, einem etwas vom Gehalt abzuziehen.

MaMo:
Könnte die Tarifrunde nicht anderswo - mutmaßlich in Nordrhein-Westfalen - entschieden werden, während Sie sich in Baden-Württemberg noch über Kaffee- und Pinkelpausen streiten?

JH:
Anderswo geht es um andere Probleme, etwa die Qualifizierung. Wenn wir bis Ende März keine Lösung bei den Erholzeiten haben, wird dieses Problem untrennbar mit dem Entgelt verbunden.

Letzte Änderung: 25.04.2008