"Kurzarbeit noch stärker nutzen"

IG Metall Interview

16.12.2009 Interview mit dem IG Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann - Esslinger Zeitung - 16. Dezember 2009 - Das Gespräch führte Annegret Jacobs

Serie: WEGE AUS DER KRISE
Arbeitnehmerbeteiligung an Unternehmen nur im Ausnahmefall - Forderung nach direkter Kreditvergabe durch die staatlichen Banken

Stuttgart - Die Forschungsinstitute sagen für das Jahr 2010 ein zartes Wirtschaftswachstum voraus. Jörg Hofmann, IG Metall-Bezirksleiter von Baden-Württemberg, ist jedoch skeptisch, dass der Arbeitsmarkt auch im kommenden Jahr so stabil bleibt wie bisher. Um eine Entlasswelle zu verhindern, fordert er im Gespräch mit Annegret Jacobs die staatliche Unterstützung von Teilzeit-Arbeitsmodellen.

Esslinger Zeitung: Die Bundestagswahl ist vorbei, die angekündigte Entlassungswelle bislang nicht eingetreten: Haben die Gewerkschaften die Unternehmen schlechter gemacht als sie sind?

Hofmann: Das Thema Bundestagswahl war für mich überinterpretiert. Noch kommen die Firmen ohne größere Entlassungswellen durch, doch auch jetzt wird schon Personal abgebaut. In Baden-Württemberg sind mit der Krise bereits fünf Prozent der Stellen weggefallen - die Leiharbeitsplätze nicht mitgerechnet. Allerdings bin ich skeptisch, ob wir im nächsten Jahr die Stabilität halten können, die wir noch haben.

EZ: Was sind die Mittel dafür?

Hofmann: Die Kurzarbeit ist zum Beispiel noch nicht ausgereizt. Betriebe, die sie in der Sommerpause für drei Monate unterbrochen haben, können aufs Neue für zwei Jahre Kurzarbeit beantragen. Wenn wir jetzt von Seiten der Bundesregierung Planungssicherheit bekämen - und da sind die Arbeitgeber sicherlich einer Meinung mit den Gewerkschaften -, dann kann man dieses Instrument noch intensiver nutzen. Ein weiterer Vorschlag ist die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 28 Stunden.

EZ:Ist mehr Kurzarbeit nicht ein teures Instrument? Schließlich trägt auch die Agentur für Arbeit einen Teil des Arbeitnehmergehaltes.

Hofmann: Ich sehe in diesem Zusammenhang nur zwei Optionen: Entweder die Beschäftigten arbeiten kürzer - oder der Arbeitgeber entlässt Teile der Belegschaft. Die zweite Lösung hätte allerdings gravierende Folgen für die Kaufkraft - gerade hier, im Mittleren Neckarraum. Ich glaube nicht, dass die Kollegen am Band, die jetzt entlassen werden, in den kommenden zwei Jahren einen Arbeitsmarkt vorfinden, in den sie problemlos vermittelbar sind. Es ist für den Staat günstiger, die Kurzarbeit zu bezuschussen als die Kosten für Massenarbeitslosigkeit zu tragen.

EZ: Die Altersteilzeit ist für sie ein anderes Mittel, um Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. Allerdings will die schwarz-gelbe Koalition sie nicht länger finanziell fördern.

Hofmann: Das ist Humbug. Ohne die Altersteilzeit wird der Jugend die Chance auf den Start in den Arbeitsmarkt verbaut. Hier wird an der falschen Stelle gespart. Die Betriebe brauchen jetzt ein Signal, um Zeit zum Planen zu haben.

EZ: Der Arbeitgeberverband Metall Baden-Württemberg bewirbt die Lockerung des Kündigungsschutzes als Weg aus der Krise. Die Gesetzeslage verhindere die Schaffung neuer Stellen.

Hofmann: Warum wird das in einem Moment gefordert, in dem wir Unterauslastung haben? Der Arbeitsmarkt ist flexibel, aus meiner Sicht viel zu sehr. Es gibt die Probezeit, es gibt befristete Verträge. Die Arbeitgeber könnten jederzeit mehr Arbeitnehmer befristet einstellen, aber sie tun es ja nicht.

EZ: Es ist abzusehen, dass die Automobilindustrie vor Ort mittelfristig weniger Arbeitskräfte benötigt: Die Produktion wird künftig noch stärker in andere Regionen der Welt, etwa nach China, verlagert werden.

Hofmann: Damit muss sich die Fahrzeug-Branche hier im Mittleren Neckarraum tatsächlich beschäftigen. Durch die Verlagerung der Produktion und die neuen Antriebssysteme wird es einen Strukturwandel geben. Im Bereich Nutzfahrzeuge sieht das anders aus, da bietet der Markt in Osteuropa viel Potenzial. Im Maschinenbau ist die Situation so, dass wir vor 2012 oder 2013 nicht auf ein Niveau zurückkommen werden, das Normalität verheißt. Wenn wir hier in der Region Massenarbeitslosigkeit verhindern wollen, müssen wir den Strukturwandel sozial begleiten.

EZ: Ist die Arbeitnehmerbeteiligung das Rezept für den Weg aus der Krise? Lange Zeit war sie für die Gewerkschaften verpönt, jetzt wirbt die IG Metall Esslingen beispielsweise mit dem Regionalfonds für ein solches Modell.

Hofmann: Arbeitnehmerbeteiligungen werden auch künftig keine generelle Strategie der IG Metall sein. In Einzelfällen kann man über die Möglichkeit sprechen, dass Arbeitnehmer ihrem Unternehmen zeitlich begrenzt Geld zur Verfügung stellen - wenn sie dafür Beschäftigungssicherung und weitergehende Mitbestimmungsmöglichkeiten erhalten. Aber ich halte persönlich nichts davon, der Oma die Spargroschen aus dem Sparstrumpf zu nehmen, um Unternehmen zu retten: Es gibt genügend Kapital auf dem Markt, dass man über staatliche Bürgschaften nutzen kann, um die Eigenkapitaldecke solcher Unternehmen zu stützen.

EZ: Trifft die Schuld Banken, die Kredite zu hohen Zinsen vergeben? Oder sind Banken gezwungen, wegen Basel-II-Vorgaben genauer hinzuschauen?

Hofmann: Sicherlich müssen sich die Banken jetzt an strengere Vorgaben halten - doch sie überziehen. Auch deswegen brauchen die Unternehmen andere Möglichkeiten, um an Kapital zu kommen: durch öffentliche Fonds wie den von uns vorgeschlagenen "Perspektivfonds Arbeit und Innovation Baden-Württemberg" oder die Möglichkeit, Kredite direkt bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau oder bei der Bürgschaftsbank zu bekommen.

EZ: Wieso funktioniert der Weg über die Hausbank nicht mehr?

Hofmann: Sie werden im Werkzeugmaschinenbau niemanden finden, der sagt, in zwei Jahren wieder auf dem Ertragsniveau von vor der Krise zu sein. Da haben wir Einbrüche von teilweise über 60 Prozent. Die Banken legen jedoch die Bonitätskriterien wie vor der Krise an: das angefangene Geschäftsjahr und die Prognose für die nächsten zwei.

EZ: Was aber, wenn im nächsten Jahr eine Flut von Pleiten droht? Die Kreditinstitute sind ihren Kunden verpflichtet, die ihr Geld bei ihnen angelegt haben.

Hofmann: Sicherlich. Aber das jetzige System führt zu schrägen Situationen. Unternehmen, die vor der Krise Schulden hatten, bekommen neue Kredite - weil den Banken der Forderungsverlust droht. Die, die ohne Schulden in die Krise gegangen sind und nun Kredite brauchen, sind schwer dran. Natürlich muss man sich die Perspektive eines Unternehmens anschauen. Aber im Werkzeugmaschinenbau haben wir hier eine einzigartige Stellung auf dem Weltmarkt: Die Fragen nach Zukunftschancen stellt sich nicht. Da geht es darum, das Unternehmen durch die Krise zu begleiten.

Letzte Änderung: 16.12.2009