"Wir befinden uns im tiefen Keller"

IG Metall Interview

23.11.2009 Interview mit IG Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann - Schwäbische Zeitung - 23. November 2009 - Das Gespräch führte Thomas Hagenbucher

SZ: Herr Hofmann, wie ist die Stimmung in der IG Metall Baden-Württemberg? Macht es derzeit überhaupt Spaß, Gewerkschafter zu sein?

Hofmann: Die Stimmung ist durchwachsen. Natürlich bedrückt uns die Krise. Aber wir haben das erste Jahr Krise relativ gut überstanden, insbesondere was die Stabilität am Arbeitsmarkt angeht. Als Gewerkschafter bin ich der Überzeugung, dass es immer Sinn macht, gemeinsam für die Interessen der abhängig Beschäftigten einzutreten. Und das ist ja jetzt in der Krise mehr denn je gefordert, wenn es darum geht, Beschäftigung zu erhalten und sich für Ausbildung und Übernahme der Auszubildenden und Studienabgänger einzusetzen.

SZ: Das Instrument Kurzarbeit hat bisher sehr gut funktioniert. Aber wie lange geht das noch gut?

Hofmann: Kurzarbeit ist ein ganz wichtiges Instrument - auch für das Jahr 2010 und folgende. Es ermöglicht den Unternehmen, Kosten zu senken, und verschafft den Arbeitnehmern ein erträgliches Nettoentgelt. Wir müssen an solchen Instrumenten wie Kurzarbeit festhalten, um weiter gut durch die Krise zu steuern.

SZ: Die IG Metall will die 24-monatige Dauer der Kurzarbeit über 2009 hinaus verlängern. Ist das realistisch?

Hofmann: Ich halte das für realistisch. Ich halte es auch für notwendig. Wir haben eine ganze Reihe an Firmen, die mit ihren gesamten Beschäftigten durch die Krise steuern wollen - ob das nun ZF ist oder andere Unternehmen hier in der Region sind. Die Betriebe brauchen ihre Arbeitskräfte nach die Krise wieder. Man sollte nicht den gleichen Fehler wie 1993/1994, als viele auf die Straße gesetzt wurden. Das geht aber nur mit einem Instrument, das erlaubt, Kosten zu senken und zugleich Nettoeinkommen abzusichern.

SZ: Man hört oft, dass die Kurzarbeit missbraucht wird. Sind Ihnen Fälle in Baden-Württemberg bekannt?

Hofmann: Es gibt offensichtlich Missbrauchsfälle. Es ist höchstbedauerlich, dass ein sinnvolles Instrument durch einige wenige in Verruf kommt. Man muss man die Verhältnisse sehen: Wir haben in Baden-Württemberg 12000 Betriebe in Kurzarbeit. Wenn es darunter 50 schwarze Schafe gibt, ist das mehr als bedauerlich und muss entschieden bekämpft werden, aber es ist kein Argument gegen Kurzarbeit.

SZ: Die nächste Tarifrunde steht bevor. Mit welchen Zielen gehen Sie in die Verhandlungen, könnte es sogar zu Lohnkürzungen kommen?

Hofmann: Wir haben das Ziel, die Einkommen stabil zu halten und auch die Preisentwicklung zu berücksichtigen. Aber wir wollen insbesondere
Beschäftigung in den Betrieben sichern und die Chancen für die Jugend auf Ausbildung und Übernahme erhalten. Das sind die Schwerpunkte. Wir würden falsch liegen, wenn wir Beschäftigung gegen Entgelt ausspielen würden. Deshalb fordern wir vom Arbeitgeberverband Südwestmetall auch, die Themen Beschäftigung und Ausbildung vorab zu behandeln. Konkret geht es hier etwa um eine Option, die Arbeitszeit auf 28 Stunden zu reduzieren um Beschäftigung zu sichern. Das geht allerdings nur, wenn die Beschäftigten zumindest einen Teillohnausgleich erhalten. Hier ist die Bundesregierung gefordert, die Ausgleichszahlungen zumindest steuer- und abgabenfrei zu stellen.

SZ: In welchem Bereich wird die Lohnforderung liegen?

Hofmann: Wir haben keinen Grund, von unseren bisherigen Orientierungspunkten - der ZielInflationsrate der EZB und der mittelfristigen Produktivitätsentwicklung - abzuweichen. Aber wie eine Forderung konkret aussehen wird, hängt auch von der Situation der Branche und der weiteren Entwicklung der Krise ab. Ich plädiere dafür, über diesen Punkt möglichst spät zu entscheiden.

SZ: Wie wird sich die Konjunktur 2010 entwickeln?

Hofmann: Wir befinden uns immer noch im tiefen Keller. Wir sind die Treppen runtergefallen, nun rappeln wir uns die ersten beiden Stufen wieder mühsam nach oben. Es ist noch ein ewig weiter Weg, der zudem unsicher ist. Denn mögliche Entlassungen und drohende Insolvenzen bilden weitere Risikofaktoren. Wir brauchen mindestens noch die Jahre 2011, 2012, um wieder auf den Stand von vor der Krise zu kommen.

SZ: Ist die Lage im Industrieland Baden-Württemberg besonders schlimm?

Hofmann: Weil Baden-Württemberg einen hohen Industrieanteil hat, ist es im Moment ganz besonders betroffen. Wir haben in den vergangenen Jahren aber auch überdurchschnittlich profitiert.

SZ: Man hat den Eindruck, dass in der Krise die Zusammenarbeit von
Unternehmern, Gewerkschaften und der Politik recht gut funktioniert. Sehen Sie das auch so?

Hofmann: Das stimmt. Wir hatten in den vergangenen Monaten das gemeinsame Grundverständnis, dass die zentrale Aufgabe ist, Beschäftigung zu sichern. Wir haben aus der letzten Krise 1993/1994 gelernt. Auch wurden die Instrumente deutlich weiterentwickelt: Arbeitszeitkonten, die uns in den ersten Monaten sehr geholfen haben, Beschäftigungssicherungstarifverträge und auch die Kurzarbeit. Vor dem Hintergrund der Demografie - Stichwort: Fachkräftemangel - haben die Unternehmer zudem ein großes Interessen, die Beschäftigten zu halten.

Letzte Änderung: 23.11.2009