IG Metall Pressedienst 39/09

IG Metall Pressedienst

15.10.2009 Jetzt für gute Arbeit streiten - Arbeitsschutzkonferenz der IG Metall Baden-Württemberg

Der Arbeits- und Gesundheitsschutz dürfe auch in Krisenzeiten nicht unter die Räder kommen, fordert Baden-Württembergs IG Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann.

"Wir dürfen gerade in Krisenzeiten die Arbeitsbedingungen und die Gesundheit der Beschäftigten nicht aus den Augen verlieren", mahnte er heute auf einer Arbeitsschutzkonferenz der IG Metall in Pforzheim. "In der Krise ist vielfach die Zeit, in der die Betriebe umstrukturieren. Deshalb werden jetzt die Arbeits- und Leistungsbedingungen von morgen festgelegt. Da dürfen wir nicht nur zuschauen, sondern müssen uns einmischen", appellierte er an die über 250 anwesenden Betriebsräte und Schwerbehindertenvertreter.

Hofmann fürchtet ein weiteres "Andrehen der Leistungsschraube", wenn die Konjunktur wieder anziehe. Daher rücke die Arbeitszeit als zentrales Thema deutlicher in den Fokus. "Wir sollten die vor der Krise gesammelten Erfahrungen rund um das ganze Themenfeld der Arbeitszeit nutzen, um während und nach der Krise mit guten Konzepten und neuen Modellen der Arbeitszeit in die Offensive zu kommen", sagte Hofmann. Es gehöre zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, über die Frage der Arbeitszeit neu zu diskutieren. Hofmann: "Mit alten Antworten auf neue Fragen werden wir nicht weiter kommen. Was wir brauchen sind neue Formen der Arbeitszeitverteilung, die sich in Modellen spiegeln, die sowohl Antworten auf persönliche Belange wie auch auf die Ein-kommenssituation der Menschen geben."

In diesem Zusammenhang forderte Hofmann auch, die gesetzliche Förderung von Altersteilzeit zu verlängern. "Altersteilzeit ist ein wirksames Instrument, mit dem wir jungen Menschen eine Brücke in die Beschäftigung bauen können und älteren Beschäftigten die Chance bieten, früher aus dem Erwerbsleben auszuscheiden." Dies sei vor allem auch mit Blick auf die in den kommenden Jahren deutlich ansteigenden Zahlen von Schulabgängern notwendig, betonte der Gewerkschafter.

"Gesundheit und Gute Arbeit dürfen nicht zum Krisenopfer werden", betont auch IG Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban. Schon jetzt sei spürbar, dass Gesundheit und Arbeitsfähigkeit vieler Beschäftigten durch verschärften Leistungsdruck und gesundheitsschädliche Arbeitszeiten immer öfter an einem "seidenen Faden" hängen. Für die Beschäftigten habe Gesundheit einen hohen Stellenwert. In der Beschäftigtenbefragung der IG Metall, an der sich über 470 000 Menschen beteiligt haben, nennen über 84 Prozent eine "Arbeit, die nicht krank macht" als ihr ureigenes Anliegen. Auch deshalb sei Gute Arbeit nach wie vor ein gewerkschaftliches Kernanliegen für die IG Metall, unterstreicht Urban.

Eine Auswirkung der Arbeitszeit auf die Gesundheit und die Arbeitsfähigkeit sieht Professor Dr. Ernst Kistler, vom Internationalen Institut für Empirische Ökonomie (inifes): "Lange Arbeitszeiten und Arbeit zu ungewöhnlichen Zeiten (Nacht, Schicht, Wochenende) sind potenzielle Fehlbelastungen und tragen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei. Ihre Auswirkungen auf arbeitsbedingte Erkrankungen sind evident. In Deutschland haben Vollzeitbeschäftigte (nach Österreich) inzwischen die längsten tatsächlichen Wochenarbeitszeiten aller EU-15-Länder. Arbeit zu ungewöhnlichen Zeiten breitet sich aus, gerade auch bei atypisch Beschäftigten. Der Vortrag zeigt solche Zusammenhänge in gruppenspezifischer Differenzierung auf. Er zeigt, dass angesichts dieser Tendenzen die Vorstellung eines Arbeitens bis 65 oder gar 67 immer noch unrealistischer wird."

"Der Problemdruck in Verbindung mit psychischen Belastungen in der Arbeitswelt wächst", sagt der Diplom-Soziologe Michael Ertel von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Berlin. "Allerdings zeigen aktuelle Untersuchungen auf, dass bisher nur ein kleiner Anteil von Betrieben seiner Aufgabe nachkommt, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, die psychische Belastungen einbezieht. Auch in ihrem eigenen Interesse an "guter Arbeit" ist es aber erforderlich, dass Betriebe sich dieser Aufgabe verstärkt stellen. Mit einer wissenschaftlichen Untersuchung zu betrieblichen Aktivitäten auf dem Gebiet Gefährdungsbeurteilung und der Verbreitung von Beispielen guter Praxis leistet die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin einen wichtigen Beitrag, um die Umsetzung einer ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilung zu befördern."

Frank Zehe, Betriebsratsvorsitzender der Badischen Stahlwerke in Kehl, stellt fest, dass die Schichtarbeit in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. "Die Unternehmen möchten Ihre Anlagen immer besser ausnutzen, so dass Tag und Nacht gearbeitet werden muss. Da bleiben Folgen für die Gesundheit der Beschäftigten nicht aus." Er beschreibt die aktuelle Gratwanderung beim Arbeitsschutz wie folgt: "Die Unternehmen müssen unter dem Eindruck der aktuellen wirtschaftlichen Situation optimal produzieren. Dabei dürfen aber die Gesundheit und die Interessen der Beschäftigten nicht auf der Strecke bleiben." Die Kunst sei es nun, "flexible Schichtmodelle zu entwickeln, die alle Aspekte berücksichtigen, die betrieblichen Interessen und auch die der Kolleginnen und Kollegen. Das wird in Zukunft die Aufgabe der Betriebsräte, Schwerbehindertenvertreter und Arbeitsschützer sein."

Um ein ganz anderes Thema sorgt sich Manfred Rüdebusch, Betriebsrat Daimler AG: Der Datenschutz bei Gesundheitsthemen. Das Thema sei nach den aktuellen Datenskandalen in verschiedenen Unternehmen brisant. "In der betrieblichen Praxis müssen wir leider immer wieder feststellen, wie sorglos mit Gesundheitsdaten umgegangen wird. Krankheitsverlauf und die Diagnosen sind gegenüber Kollegen und Vorgesetzten oft keine Tabuthemen." Die betrieblichen Interessenvertreter sollten deshalb verstärkt auf das Einhalten der Datenschutzbestimmungen achten und dafür sorgen, dass die Betroffenen Herr des Verfahrens bleiben. "Auch bei den leider immer noch weit verbreiteten Krankenrückkehrgesprächen oder sogenannten Runden Tischen müssen Betriebsräte und Schwerbehindertenvertreter die Beschäftigten vor Ort unterstützen. Die heutige Konferenz ist als eine Auftaktveranstaltung für eine umfassende Aufklärungsarbeit der IG Metall in Baden-Württemberg zu verstehen."

Letzte Änderung: 15.10.2009