IG Metall: Banken verlangen Entlassungen

IG Metall Aus der Presse

12.05.2009 Bezirkschef rügt Praxis bei Kreditvergabe - Zweite Stufe der Tariferhöhung wird nur in jedem dritten Betrieb verschoben - Stuttgarter Zeitung - 12.05.2009 - Von Matthias Schiermeyer

Die IG Metall beschuldigt die Banken, die Unternehmen zu Personalabbau zu drängen. In einer Protestwoche will sie die nach ihrer Ansicht für die Krise Verantwortlichen an den Pranger stellen.

Nach einer Umfrage der IG Metall Baden-Württemberg bei etwa 725 tarifgebundenen Unternehmen haben 13 Prozent der Betriebe Entlassungen angekündigt oder schon ausgesprochen. Bezirksleiter Jörg Hofmann befürchtet eine Zunahme von Kündigungen. Schuld daran hätten auch die Banken, "die in einer unvorstellbaren Frechheit die Neuverhandlung von Umfinanzierungen oder erweiterten Kreditlinien mit der Forderung verbinden, Strukturkosten und damit das Personal dauerhaft zu reduzieren", sagte er. Gerade im mittleren Unternehmensbereich stelle sich die Frage von Liquidität und Refinanzierung zunehmend als existenzbedrohend heraus. Insbesondere Autozulieferer müssten astronomische Risikozuschläge hinnehmen.

"Der Druck wächst zusehends, so dass wir in unserer Aktionswoche deutlich machen wollen, welche Verantwortlichkeiten alle Beteiligten haben", betonte Hofmann gegenüber der Stuttgarter Zeitung. Die Gewerkschaft wolle die Politik und die Banken in die Pflicht nehmen. Der Bezirksleiter verlangte ein Nachdenken darüber, "ob es im Rahmen der Rettungsschirme noch eine klarere Einwirkung geben muss, damit die Kreditversorgung der Unternehmen zu Konditionen gewährleistet ist, die am Markt verdienbar sind". Die Hausbanken weigerten sich häufig, Restrisiken zu tragen, wenn sie Kredite vermitteln. "Es ist aber nicht akzeptabel, wenn sich die Banken mit öffentlichen Geldern sanieren und wieder positive Ergebnisse schreiben, gleichzeitig aber jedes Risiko scheuen, was Kredite im Bereich des produzierenden Gewerbes angeht", tadelte er.

Im Streit um die zweite Stufe der Tariferhöhung wirft die IG Metall dem Arbeitgeberverband vor, nicht auf sicherer Datenbasis zu argumentieren. Südwestmetall-Chef Jan Stefan Roell hatte jüngst im StZ-Interview festgestellt, dass 70 Prozent der Betriebe die 2,1-prozentige Anhebung um bis zu sieben Monate verschieben wollen. "Roell hat lediglich seine Erwartung ausgesprochen", erläuterte Hofmann. "Wir haben dagegen nicht schon Mitte April nach der Erwartungshaltung der Betriebsräte gefragt, sondern sprechen von den Fakten, wie sie sich nach dem Stichtag am 1. Mai darstellen." Nach der Umfrage, die bei den Betriebsräten in den 27 Verwaltungsstellen des Bezirks vom 4. bis 6. Mai vorgenommen wurde, wollen 20 Prozent der Unternehmen die zweite Tarifstufe bis Dezember aussetzen. Weitere 15 Prozent verschieben sie teilweise oder verrechnen sie mit anderen Entgeltteilen. 17 Prozent der Arbeitgeber wollen sie aussetzen, ohne sich aber mit der Belegschaft geeinigt zu haben.

Nun gibt es zwar Fälle, in denen die Betriebsparteien noch darüber verhandeln. Diese hat die IG Metall schon unter der Rubrik "Es wird verschoben" verbucht. Im Bosch-Konzern beispielsweise können die Betriebe bis Mitte Mai entscheiden, ob sie die Verschiebung oder die Verrechnung der Ergebnisbeteiligung wollen. Darüber hinaus können keine weiteren Vereinbarungen hinzukommen. Mit dem 1. Mai "ist das Zeitfenster für die Unternehmen geschlossen", sagte Hofmann. Die Rechtsprechung gehe vom Vertrauensschutz für die Beschäftigten aus. Demnach könne in Einzelfällen zwar noch ein Ergebnis erzielt werden. Dieses müsse aber schon zum Stichtag für die Betroffenen sichtbar sein. "Der Beschäftigte muss sich darauf einstellen können, was er in dem Monat verdient", fügte der Bezirkschef an.

Größere Unternehmen nutzen das Instrument nicht unbedingt mehr als kleinere Unternehmen. Daimler verschiebt, Audi und Porsche nicht. Bei den Zulieferern hat Bosch die Wahloption, ZF zahlt pünktlich. Meist wurden Gegenleistungen der Unternehmen vereinbart. Der Umfrage zufolge gewährt jeder zweite Betrieb, der die zweite Stufe aussetzt, den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen. "Die Betriebsräte haben die Chance genutzt, das Thema Beschäftigungssicherheit für die nächsten Monate zu regeln", sagte er. Andere Belegschaftsvertreter konnten die Zahl der Ausbildungsplätze sichern.

Streit um Tariferhöhung
Im Zwiespalt

Von Matthias Schiermeyer

Die IG Metall macht mobil. Kurz vor den Großdemonstrationen des Europäischen Gewerkschaftsbundes in Berlin, Brüssel, Prag und Madrid schickt sie ihre treueste Anhängerschaft vor die Werkstore. Wie immer, wenn die IG Metall in Baden-Württemberg ruft, werden wieder Zehntausende von Mitgliedern mitgehen. Dennoch dienen die Aktionen auch als Stimmungstest, bei dem die Gewerkschaftsführer messen, ob sie sich mit weiteren Protesten vor der Sommerpause einen Gefallen tun. Denn nach übermäßiger Wut in den Belegschaften, die dringend ein Ventil benötigt, sieht es derzeit nicht aus. Im Gegenteil: die Angst vor weiteren Einschnitten bremst die Bereitschaft zur Gegenwehr. Kampfansagen, wonach der Republik Massenaufstände drohen, versucht die Gewerkschaft daher aus gutem Grund zu vermeiden.

Die IG Metall steckt im Zwiespalt: Einerseits will sie in der Krise Flagge zeigen, andererseits muss sie in den Betrieben die Folgen des Abschwungs eindämmen. Dort ist aber Kompromissfähigkeit vonnöten, weil eine offene Konfrontation die Arbeitsplätze eher gefährdet als sichert. Dies gilt auch für die zweite Stufe der Tariferhöhung, um die in den vergangenen Wochen vielerorts gerungen wurde. In 35 Prozent der Betriebe werde die Entgeltanhebung von Mai auf Dezember verschoben, hat die IG Metall in einer internen Umfrage ermittelt. Der Chef des Arbeitgeberverbandes, Jan Stefan Roell, hatte kurz zuvor - eher gefühlsmäßig - eine Quote von 70 Prozent genannt, wobei die Hälfte der Regelungen bereits im Kasten sei.

Nachprüfbar sind die Zahlen beider Seiten nicht, so dass sich trefflich streiten lässt, wer nun recht hat. Vielleicht lässt sich der Konflikt jedoch auf den Nenner bringen, dass zwei Drittel der Unternehmen die Lohnanhebung gerne verschoben hätten, es aber bis Anfang Mai nur in gut einem Drittel zur konkreten Vereinbarung darüber gekommen ist. Das hieße: wo Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter kein Einvernehmen erzielen konnten, hat sich der Betriebsrat durchgesetzt. Beklagen kann sich Südwestmetall darüber nicht, nachdem der Verband jahrelang mehr Freiheiten für die Betriebsparteien gefordert hat. Der Ausgang der Auseinandersetzung zeigt: nur wo es dringend geboten erscheint, wird der Spielraum auch genutzt.

Letzte Änderung: 12.05.2009