"Bürgschaften ja, direkte ...

IG Metall Interview

12.02.2009 Kapitalspritzen nein" - Interview mit dem IG Metall Bezirksleiter Jörg Hofmann mit der FAZ am 11. Februar 2009 - Das Gespräch führte Henkrike Rossbach

Im Gespräch: Jörg Hofmann, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg

Baden-Württemberg ist das Musterland der deutschen Industrie. Doch die Rezession verwandelt auch den Südwesten in ein Krisengebiet. Jörg Hofmann über den Wert der Schwäbischen Alb, die Wirkung von Kurzarbeit und Absatzhilfen für Autohersteller.

FAZ: Muss die Schwäbische Alb in der Wirtschaftskrise wertberichtigt werden?

Jörg Hofmann: Sicherlich nicht. Wir haben gute Produkte, qualifiziertes Personal und sind hoch wettbewerbsfähig. Da gibt es keine Luftbuchungen wie auf den Finanzmärkten. Das Problem ist, dass die Aufträge weltweit wegbrechen. Weil die Industrie hier in hohem Maße exportorientiert ist, ist sie auch in hohem Maße betroffen.

FAZ: Wen trifft es besonders hart?

JH: Zu Beginn waren es Fahrzeugbau und Zulieferer, jetzt ist der Maschinenbau genauso betroffen, bis auf ein paar Sparten, in denen die Auftragsbestände noch so hoch sind, dass die Krise in der Produktion nicht angekommen ist, etwa im Großanlagenbau, in der Energieübertragungstechnik oder dem Landmaschinenbau.

FAZ: Kämpfen die Unternehmen nur mit dem Auftragseinbruch oder auch mit einer Kreditklemme?

JH: Die Metall- und Elektroindustrie ist hoch kapitalintensiv. Da überschreiten die Kreditvolumina in mittleren Betrieben schnell die 100-Millionen-Euro-Marke. Negativ wirkt die Kreditklemme vor allem auf die Absatzfinanzierung. Die Unternehmen bekommen entweder keinen Kredit oder nur zu Bedingungen, die sie nicht erwirtschaften können. Ein Zulieferer kriegt Geld auf dem Kapitalmarkt nur mit einer Risikozulage von 7,8 oder 9. Das können sie nicht verdienen in dem Markt.

FAZ: Die Unternehmen reagieren zunehmend mit Kurzarbeit. Auch in Ihrer Region?

JH: Ja. Seit Oktober wurde hier für 184 000 Arbeitnehmer Kurzarbeit beantragt. Die deutliche Zunahme zeigt die Tiefe des Einbruchs, aber auch, dass Kurzarbeit bisher beiträgt, signifikante Entlassungen zu vermeiden.

FAZ: Nach dem Willen der IG Metall soll das so bleiben. Aber ist ein Jahr ohne Massenentlassungen realistisch?

JH: Nur, wenn wir die Versorgung der Wirtschaft mit günstigen Krediten hinbekommen. Industrieunternehmen sind immer mit Risiken von Produkt und Qualität behaftet; die angelegten Risikomaßstäbe dürfen das nicht überbewerten. Meine letzte große Krisenerfahrung war 1993/94, als die Betriebe erst entlassen und anschließend händeringend Facharbeiter und Ingenieure gesucht haben. Da haben beide Seiten gelernt. Wir haben die Tarifinstrumente erweitert, so können im Südwesten etwa flexible Arbeitszeitkonten ohne zeitliche Befristung auf- und abgebaut werden. Das hat dazu beigetragen, dass wir im Maschinenbau erst allmählich, im Februar/März, in die Phase der Kurzarbeit kommen.

FAZ: Die Regierung hat die Kurzarbeit überarbeitet. Sind Sie damit zufrieden?

JH: Die Verlängerung auf 18 Monate war sicher sinnvoll. In diesem Zeitraum kann man erfahrungsgemäß ein gesichertes Ufer erreichen. Ich finde es auch richtig, dass Unternehmen für ihre Kurzarbeiter Sozialbeiträge sparen, wenn sie Qualifizierungsangebote machen.

FAZ: Manch kleinem Betrieb dürfte die Kurzarbeit trotz allem wie ein bürokratisches Monster vorkommen.

JH: Das Antragsverfahren muss vereinfacht werden; das Arbeitsministerium und die Arbeitsagentur planen, dass man den Antrag online stellen kann und dass der Fragebogen klarer strukturiert wird.

FAZ: Ein anderes Lieblingsthema der Arbeitgeber ist die Verschiebung der tariflich vereinbarten Entgelterhöhung im Mai.

JH: In unserer Region gibt es meiner Kenntnis nach relativ wenige Anträge dafür. Zum einen verringert diese Verschiebung die Personalkosten im Jahr 2009 gerade einmal um 1,4 Prozent; auf die Gesamtkosten bezogen sind es 0,3 Prozent. Zum anderen ist sie kein problemadäquates Instrument. Wenn die Verschiebung dazu beitragen soll, Beschäftigung zu stabilisieren, greift sie nicht, weil sie keine Kostenrelevanz hat.
Wenn die Problemlage in einem Betrieb derart groß ist, muss man eher über Ergänzungstarifverträge nachdenken. Zudem ist eine Verschiebung an freiwillige Betriebsvereinbarungen geknüpft. Die Arbeitnehmer werden eine Gegenleistung verlangen, etwa die Beschäftigungssicherung.

FAZ: Insgesamt dürften viele Metaller nach den hohen Erwartungen von dem Tarifabschluss wenig begeistert gewesen sein.

JH: Die Kritik zielte bei uns nie so stark auf das Volumen des Abschlusses, sondern eher auf den Ablauf. Es war, als ob man aus voller Fahrt den Wagen abrupt in der Garage parkt, nicht ohne vorher noch kurz das Tor zu zertrümmern. Aber nur so konnten wir den Abschluss unters trockene Dach bringen. Heute erweist sich das Ergebnis als das zu dem Zeitpunkt gerade noch erreichbare.

FAZ: Dieses Jahr gibt es keine Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie. Werden Sie sich langweilen?

JH: Gewiss nicht! Eine Tarifrunde hat zwar den großen Vorteil, dass sie das Leben so gut strukturiert, dass man die anderen Themen abhaken kann. Aber jetzt müssen wir uns allen Themen stellen. Zunächst einmal darf 2009 kein Jahr der Entlassungen werden. Beschäftigung und Qualifizierung sind die großen Themen; angefangen davon, wie wir uns gesellschaftspolitisch positionieren bis hin zur Frage, wie verhalten wir uns im Fall der Firma X auf der Schwäbischen Alb.

FAZ: Wenn es dieser Firma X schlechtgeht. Soll der Staat sie retten?

JH: Was ich für ausgesprochen notwendig halte, sind Bürgschaften für die Kreditlinien der Unternehmen, aber auch zur Vorfinanzierung von Entwicklung. Allerdings muss mehr Transparenz geschaffen werden, es blickt ja kein normaler Mensch mehr, wo er Bürgschaften bekommen kann. Sie sind wichtig, um an sich stabile Unternehmen abzusichern, die an den Kreditbedingungen zu scheitern drohen.

FAZ: Doch wer soll entscheiden, ob ein Unternehmen "an sich stabil" ist?

JH: Das werden sicherlich immer die Kreditgeber mit beurteilen müssen.

FAZ: Wenn aber eine Familie Schaeffler eine Bürgschaft bekommt, dürfte das dem Konkurrenten Bosch nicht gefallen.

JH: Ich kann meinen Kollegen in Bayern gut verstehen, wenn er sagt, Vorrang haben die Arbeitsplätze. Vielleicht gibt es aber auch andere industrielle Konzepte, das kann ich nicht beurteilen. Der wesentliche Punkt ist für mich: Bürgschaften ja, direkte Kapitalspritzen eher nein.

FAZ: IG Metall Chef Huber hat vor kurzem gesagt, das Loch vor uns sei viel tiefer, als die meisten ahnten. Stecken wir in der schlimmsten Krise seit 1929?

JH: Die Dynamik und Breite des Abbruchs, die weltweite Gleichzeitigkeit und die Tatsache, dass sich eine konjunkturelle mit einer strukturellen Krise auf den Finanzmärkten und in der Autoindustrievermischt, machen die Situation einmalig. Andererseits ist es auch einmalig, dass alle Akteure einigermaßen in die richtige Richtung arbeiten. Die Europäische Zentralbank reagiert mit Zinssenkungen, die Regierung mit einer, wenn auch weiter zu zögerlichen, ausgabenorientierten Fiskalpolitik, und lohnpolitisch haben wir 2009 die Arbeitseinkommen und die Konsumnachfrage zumindest stabilisiert.

FAZ: Ihnen sind die milliardenschweren Konjunkturpakete also immer noch zu klein. Zumindest die Abwrackprämie dürfte im Autoland Baden-Württemberg aber willkommen sein, oder?

JH: Sie ist willkommen und wirkt, auch wenn wir uns ergänzend Absatzhilfen für das Premiumsegment gewünscht hätten, für den Stern und die drei Pferdchen. Aber: Wir haben auch eine extrem starke Zuliefererlandschaft, und die beliefert nicht nur die Premiumhersteller, sondern die ganze Breite der europäischen Autobauer.

Letzte Änderung: 12.02.2009