2009 darf kein Jahr der ...

IG Metall Interview

18.12.2008 ... Entlassungen werden - Interview mit IG Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann in der Stuttgarter Zeitung vom 17.12.08 - Das Gespräch führte Matthias Schiermeyer

Die IG Metall Baden-Württemberg sieht genügend Spielräume und Opferbereitschaft, um die Beschäftigung in der Krise abzusichern.
Doch müssten vor allem Banken und Unternehmen ihre Beiträge zur Krisenbewältigung leisten, betont der Bezirkschef Jörg Hofmann im Gespräch mit Matthias Schiermeyer.

Wie groß sind die Chancen eines großen Bündnisses, im nationalen Kraftakt die Krise in den Griff zu kriegen? Ist das nicht schöner Schein, wenn alle an einem Tisch sitzen, aber Unverbindliches verabreden?

Guter Wille ist schon etwas. Er reicht aber nicht aus, um die Beschäftigung im Jahr 2009 nachhaltig zu sichern - und er reicht auch nicht aus, um die Kernprobleme wie den Nachfrageeinbruch und die Liquidität der Unternehmen zu lösen.

Glauben Sie, dass es zu einer Selbstverpflichtung der Wirtschaft kommt, auf Entlassungen zu verzichten?

Die Dax-Konzerne können sie in jedem Fall einhalten, dort sollte genügend Liquidität vorhanden sein. Darüber hinaus sind die Banken in der Pflicht: Wenn sie die Kreditversorgung zu vernünftigen Konditionen zusichern, können auch die kleinen und mittleren Unternehmen eine Beschäftigungsgarantie abgeben. Die Probleme der mangelnden Auslastung können wir mit den Tarifinstrumenten bewältigen, ohne dass es zu Personalabbau kommt. Aber wenn den Unternehmen das Geld zur Vorfinanzierung von Aufträgen ausgeht, wird es eng. Also muss die Bundesregierung ihren Einfluss auf den Finanzmarkt deutlicher machen, damit endlich Geld reinkommt. Die Banken sind zwar die Mitauslöser der Krise, sie leisten im Moment allerdings keine sichtbaren Beiträge, diese wieder zu beseitigen. Und wir brauchen ein Konjunkturprogramm, in dem geklotzt und nicht gekleckert wird. Die IG Metall hat ihre Vorschläge dazu gerade gemacht.

Gesamtmetall mahnt bereits, dass es keine Garantie für den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen geben werde.

2009 darf kein Jahr der Entlassungen werden. Die Instrumente, darauf zu verzichten, sind gegeben: Wir haben sehr weitgehende Möglichkeiten, um Beschäftigung zu sichern - einschließlich der Kurzarbeit, die ja auch Kurzarbeit null bedeuten kann. Bei den Arbeitnehmern gibt es ausreichend Bereitschaft zur Flexibilität. Allein über die Arbeitzeitkonten haben wir bei plus/minus 300 Stunden einen Puffer von jeweils vier Monaten, um den Auftragseinbruch über die Zeitkonten abzufangen. In der Phase sind wir ja noch.

Was aber kommt danach?

Es wird wie in jeder Krise Fälle geben, wo die Arbeitnehmer an Abstrichen zur Sicherung von Arbeitsplätzen nicht vorbeikommen. Jede Anwendung der Kurzarbeit und des Tarifvertrags zur Beschäftigungssicherung ist bereits ein Opfer. Wir sehen zuallererst die Unternehmen in der Verantwortung, nachdem sie im Aufschwung sehr gut verdient haben. Wann, wenn nicht jetzt, kann man den Beschäftigten beispielsweise eine sinnvolle Chance einräumen, sich zu qualifizieren. Diese Verknüpfung von Kurzarbeit und Weiterbildung muss von der Bundesagentur für Arbeit stärker gefördert werden als bisher. Wir betrachten Kurzarbeit nicht nur als ein Stilllegen von Personal, sondern sie kann helfen, gestärkt aus der Krise zu kommen.

Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser versichert, dass die Beschäftigung möglichst stabil gehalten werden solle.

Die Hemmschwelle zu entlassen ist diesmal hoch, weil viele Arbeitgeber dazugelernt haben: Beim letzten großen Abschwung 1993 und 1994 haben sie die Leute rausgeschmissen und dann händeringend nach Facharbeitern gesucht. Nun wird versucht, den alten Fehler nicht erneut zu machen. Das ist im Verhalten der Arbeitgeber deutlich spürbar.

Wann kann es wieder besser werden?

Ich denke, dass wir frühestens im zweiten Halbjahr 2009 in Teilbranchen wieder positive Impulse haben werden.

Muss es neue Standortvereinbarungen geben, wenn die Luft bis dahin knapp wird?

Das kann sein. Mir kommt es aber darauf an, dass sich die bestehenden Vereinbarungen bewähren. Unternehmen wie Daimler und Audi wollen sie nicht antasten, doch andere versuchen, daran zu rütteln. Käme es dazu, wäre dies ein Dammbruch. So etwas gefährdet das gesamte System mit unternehmensorientierten Ergänzungsverträgen. Was nützen Vereinbarungen, auf die man sich nicht verlassen kann, wenn es darauf ankommt. Wir würden es nicht zulassen.

Bis zum Tarifabschluss haben Sie die Welt noch rosarot gemalt. Hat die Entwicklung auch Sie überrollt?

Was ich mir nicht vorstellen konnte, war die Dynamik des Abbruchs über alle Sektoren hinweg. Wir wurden überrollt von der Breite des Abschwungs, die für normale Konjunkturzyklen untypisch ist. Im Automobilbau war ein Abflauen der Konjunktur noch absehbar, aber allein in den zwei Wochen vor dem Abschluss wurde deutlich, dass wir massive Einbrüche im Maschinenbau haben. Und dass der Nutzfahrzeugbau in so einem extremen Maße einbricht, war bis dato für mich ein isoliertes Problem von einigen Firmen, wurde aber Ende Oktober so richtig sichtbar.

Dann hatte Südwestmetall völlig zu Recht mit seinem Lohnangebot abgewartet?

Wir lagen auch richtig damit, bis zum Schluss Vollgas zu fahren.

Die Vollbremsung in der Nacht des Tarifabschlusses hat Ihnen Ärger in Streikbetrieben bereitet. Hat es Austritte gegeben?

Einige. Aber wir haben seither fast das Doppelte an Neuaufnahmen im Vergleich zu den Austritten. Der Ärger ist nachvollziehbar, wo die Leute auf den Kisten mit den Urabstimmungszetteln saßen. Der Tarifabschluss selbst wird mit jedem Tag besser für viele Kollegen. Mit den 4,2 Prozent, die es ja auf jeden Fall im kommenden Jahr gibt, wurde angesichts jetzt deutlicher niedrigerer Inflationsraten ein vergleichsweise höheres Ergebnis erzielt als 2007.

Viele Beschäftigte sorgen sich, dass die für Mai 2009 vereinbarte zweite Stufe der Entgeltanhebung um sieben Monate verschoben wird.

Dafür brauchen die Unternehmen einen Betriebsrat, der dazu Ja sagt. Wir werden jeden Einzelfall anschauen, ob es notwendig ist oder ob es sinnvollere Wege gibt, als den Mitarbeitern ans Entgelt zu gehen. Wenn es unumgehbar ist, sollten Entlassungen in den Betrieben 2009 ausgeschlossen sein.

Sie haben Südwestmetall-Chef Roell vorgeworfen, kurz vor dem Tarifabschluss viel Porzellan zerschlagen zu haben, weil Sie sich von ihm getäuscht fühlten. Sind die Unstimmigkeiten schon beseitigt?

Die Scherben liegen noch da. Gerade wegen der Krise ist es sehr bedauerlich, dass die Verlässlichkeit zwischen den Tarifparteien infrage gestellt wurde. Die Kontakte werden sich aber zwangsweise eher häufen in den nächsten Monaten. Dann werden wir sehen, ob das Bemühen da ist, zu mehr Normalität zu kommen.

Letzte Änderung: 12.01.2009