"Die Wut treibt die Leute auf die Straße

IG Metall Interview

03.11.2008 Interview mit dem IG Metall Bezirksleiter Jörg Hofmann in der FAZ am Sonntag am 2. November 2008 - Das Gespräch führten Georg Meck und Rainer Hank

IG-Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann über Streik in Zeiten stehender Bänder, acht Prozent mehr Lohn und den Zorn auf die Manager.

Herr Hofmann, wie organisiert man einen Streik, wenn die Fabriken stillstehen, weil die Aufträge fehlen?

Hofmann: In der Masse der Fabriken wird eifrig gearbeitet. Zwei von drei Firmen sprechen laut der jüngsten Konjunkturumfrage von einer stabilen oder gestiegenen Produktion. Lediglich ein Drittel rechnet mit einem Rückgang. Probleme haben wir teilweise im Automobilbau.

FAZ: Ausgerechnet dort ist dummerweise Ihre Hochburg - da bekommen Sie ein Problem mit der Mobilisierung.

Hofmann: Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Die IG Metall steht auf vielen Füßen, wir werden genügend Druck entwickeln.

FAZ: Wie soll das gehen, wenn die Autohersteller Zwangspausen einlegen? Bei Mercedes in Sindelfingen ruhten vorige Woche schon die Bänder und über Weihnachten noch mal vier Wochen.

Hofmann: Richtig ist, dass dem Automarkt die oberen Segmente wegbrechen. Das hat vielerlei Gründe: Der Export lässt stark nach, im Inland sind die Käufer verunsichert, dann haben die Flottenbetreiber im Moment Schwierigkeiten mit der Refinanzierung. In Sindelfingen kommt noch der Modellwechsel in der E-Klasse dazu, deswegen ist das Werk besonders gebeutelt - aber rufen Sie mir deswegen nicht den Untergang des Abendlandes aus.

FAZ: Das sicher nicht, doch erleben wir mit der Finanzkrise gerade eine historische Zäsur. Es droht eine Weltwirtschaftskrise. Nur die IG Metall stört das nicht. Sie zieht ihre Beschlusslage durch und verlangt 8 Prozent mehr Lohn - die höchste Forderung seit 16 Jahren.

Hofmann: Der höchsten Forderung der IG Metall gingen die höchsten Gewinne voraus. Und der konjunkturelle Abschwung der Automobilindustrie war seit längerem erkennbar, jetzt verstärkt er sich noch mal.

FAZ: Das macht es nicht besser.

Hofmann: Einverstanden. Natürlich sind auch wir besorgt. Aber welches Rezept hilft, wenn niemand mehr Autos kauft? Lohnzurückhaltung sicherlich nicht, das wäre die schlechteste Antwort: Weniger Kaufkraft bedeutet weniger Neuwagenkäufe.

FAZ: Wenn das Argument sticht, warum verlangen Sie dann nicht gleich 20 Prozent mehr Lohn - als Mittel gegen die Krise?

Hofmann: Wir haben unsere 8-Prozent-Forderung mit klaren Kriterien begründet: die Entwicklung von Produktivität und Inflation, 2009 dazu der Nachholbedarf in der gesamtwirtschaftlichen Verteilung von 2008. In ihrem Herbstgutachten sprechen die fünf Weisen davon, dass sich die Wirtschaft im zweiten Halbjahr 2009 wieder belebt; das öffnet Spielraum für höhere Löhne.

FAZ: Jetzt berufen ausgerechnet Sie sich auf Ökonomen. Dabei kann man die doch längst nicht mehr ernst nehmen, wie Ihr Gewerkschaftsvorsitzender Berthold Huber behauptet.

Hofmann: Ach, wissen Sie: Ich habe nur ganz wenige Konflikte mit meinem Vorsitzenden - dass er meine Zunft, die Ökonomen, beleidigt, ist einer davon. Aber im Ernst: 5,7 Prozent mehr Lohn ergibt sich aus den realwirtschaftlichen Prognosen, der Rest ist eine Umverteilungskomponente, die sich aus der hervorragenden Renditesituation in der Metall- und Elektroindustrie ableitet.

FAZ: Umverteilt haben Sie doch schon: Nirgendwo sind die Lohnzuwächse höher als in Ihrer Branche.

Hofmann: Dann schauen Sie sich mal an, wie übermäßig die Renditen zugelegt haben: Die Gewinne in unserer Branche sind im Jahr 2007 um 11 Milliarden Euro gestiegen, die Löhne und Gehälter um 7 Milliarden - 4 Milliarden durch mehr Lohn, 3 Milliarden durch zusätzliche Beschäftigung. In der Folge ist die Lohnquote kräftig gesunken, auf knapp 17 Prozent. Die Arbeitgeber selbst sprechen von der höchsten Renditequote seit 40 Jahren, und wie wir rechnen sie damit, dass die Nettorendite weiter 4,2 Prozent beträgt.

FAZ: Als Daimler-Aufsichtsrat erleben Sie doch, wie die Gewinne schmelzen: Mercedes verdient mit Autos schon jetzt kein Geld mehr.

Hofmann: Halt. Daimler hat seine Profiterwartung von 7 auf 6 Milliarden Euro reduziert - mit dem Geld können Sie dreimal die von uns geforderte Lohnerhöhung für das gesamte Tarifgebiet bezahlen. Machen Sie mir aus einem stolzen Konzern kein Armenhaus. Man kann sich fragen, ob die deutsche Autoindustrie rechtzeitig auf die neuen Herausforderungen reagiert hat. Lohnzurückhaltung hilft da sicher nicht.

FAZ: Die mäßigen Lohnerhöhungen in der Vergangenheit haben dazu beigetragen, dass die Arbeitslosigkeit unter 3 Millionen gesunken ist - wollen Sie diesen Erfolg jetzt wieder zunichtemachen?

Hofmann: Gott sei Dank haben wir wieder mehr Beschäftigung - dank der Auslastung der Betriebe. Wenn die Arbeitgeber neue Kollegen eingestellt haben, dann war das ja keine philanthropische Tat. Es ging nicht mehr anders, um der Aufträge Herr zu werden. Es ging nicht mehr mit Überstunden, es ging nicht mehr mit Leiharbeit.

FAZ: Sie bestreiten den Zusammenhang zwischen zu hohen Lohnkosten und drohendem Stellenabbau?

Hofmann: Wo hakt es denn jetzt mit der Beschäftigung? Offensichtlich in Betrieben, die Probleme mit der Finanzierung bekommen - die Bankenkrise heilen Sie nicht mit Lohnzurückhaltung. Niedrige Löhne führen nicht zu mehr Krediten. Auch das Argument mit dem globalen Wettbewerb zieht nicht: Die deutsche Metall- und Elektroindustrie hat eine so hervorragende Wettbewerbsposition in der Welt, die verträgt unsere Lohnerhöhung ohne Probleme. Hätten wir vor ein paar Monaten verhandelt, dann hätten uns die Arbeitgeber noch die globalen Belastungen vorgehalten: ungünstiger Dollarkurs, hohe Preise für Öl und Rohstoffe. All dies hat sich relativiert. Die schwächelnde Auslandsnachfrage kurbeln wir nicht mit niedrigen Löhnen an, also drehen wir nicht dort die Schraube nach unten, wo die letzten Wachstumsimpulse herkommen: aus dem privaten Konsum im Inland. Da stehen wir durchaus in einer gesellschaftlichen Verantwortung.

FAZ: Wir sind gerührt. Ihr Arbeitskampf hilft uns allen: Sie tun Gutes für das ganze Volk?

Hofmann: Zugegeben, wir denken da schon auch an uns, aber zweifellos ist eine vernünftige Lohnerhöhung eine sinnvolle volkswirtschaftliche Tat. Das ist das beste Konjunkturprogramm. Vor allem eines, das auch von denen bezahlt wird, die im Aufschwung kräftig Kasse gemacht haben.

FAZ: Wie wollen Sie sicher sein, dass die Menschen den höheren Lohn ausgeben und nicht aufs Sparbuch legen in diesen Zeiten?

Hofmann: Der neueste Konsumindikator zeigt, dass die Sparquote nicht steigt. Die Leute konsumieren - trotz der widrigen Umstände.

FAZ: Fürchten Sie nicht, dass in dieser Atmosphäre im Falle eines Streikes die Stimmung im Land schnell kippt und die Leute sagen: Die spinnen, die IG Metaller?

Hofmann: Im Gegenteil, die Stimmung ist auf unserer Seite: Die Menschen haben eine extreme Wut auf diejenigen, die Milliarden verzockt und sich eine goldene Nase verdient haben. Und jetzt muss die Gemeinschaft dafür geradestehen. Diese Wut merken wir an jeder Ecke. Eine Politisierung der Tarifrunde wäre die absehbare Konsequenz einer Zuspitzung. Ich warne die Arbeitgeber davor, zu überziehen. Es stellen sich ja die Fragen: Wie steht es um die Gerechtigkeit in diesem Land? Wo sind die Profiteure? Und wer sitzt am Ende immer am kürzeren Hebel?

FAZ: Sie drohen damit, den Volkszorn gegen Manager zu mobilisieren?

Hofmann: Die Tarifrunde wird sich zwangsläufig politisieren, wenn wir nicht rasch eine Lösung hinkriegen. Die Arbeitnehmer kommen für die ganzen Schäden aus der Finanzkrise auf: als Steuerzahler für die Rettung der Banken wie für die Folgeschäden in der Realwirtschaft. Dass sie jetzt auch noch mit Lohnverzicht bestraft werden sollen - das birgt gesellschaftlichen Sprengstoff.

FAZ: Gerade haben Sie mit den ersten Warnstreiks begonnen. Wie viele Menschen wollen Sie in dieser Woche in den Ausstand schicken?

Hofmann: Ich bin sicher, dass sich sehr, sehr viele Kollegen an den Warnstreiks beteiligen. Die müssen wir nicht schicken. Die haben die Schnauze voll, dass sie mit einem Angebot konfrontiert werden, das nicht einmal die Reallöhne garantiert. Das treibt viele Kollegen nicht nur auf die Palme, sondern auch auf die Straße.

FAZ: Wo wird in den nächsten Tagen gestreikt?

Hofmann: Überall in unserem wunderbaren Ländle, in einer sich steigernden Welle.

FAZ: Und wie geht es dann weiter?

Hofmann: Am Verhandlungstisch, voraussichtlich am 11. November. Entweder wir bekommen da eine Lösung - oder der Konflikt eskaliert.

FAZ: Wenn das Treffen nichts bringt, folgen Urabstimmung und Arbeitskampf?

Hofmann: Richtig, dann hat es keinen Sinn, weitere Termine anzusetzen. Die Fakten liegen auf dem Tisch.

FAZ: Das Angebot von 2,9 Prozent finden Sie natürlich viel zu mickrig?

Hofmann: Das ist nie und nimmer akzeptabel. 0,8 Prozent entfallen auf eine Einmalzahlung für dieses Jahr, für 2009 bleiben dann 2,1 weniger 0,8, also ganze 1,3 Prozent - weniger als die Inflation. Ein schlechter Witz!

Letzte Änderung: 03.11.2008