"Es gibt keinen Grund für Zurückhaltung"

IG Metall Interview

06.10.2008 Interview mit dem IG Metall Bezirksleiter Jörg Hofmann und der taz - 4. Oktober 2008 - Das Gespräch führte Thilo Knott

Die IG Metall verhandelt in Baden-Württemberg mit den Arbeitgebern über Löhne und Gehälter. In der taz erklärt der Leiter des wichtigsten deutschen Gewerkschaftsbezirks, warum die Metallarbeiter trotz drohender Rezession so hohe Forderungen stellen.

Der Pilotbezirk
Baden-Württemberg ist der traditionelle Pilotbezirk bei Tarifauseinandersetzungen in der Metall- und Elektobranche, dessen Abschlüsse auf Deutschland übertragen werden. Im Südwesten wurden seit 1990 sieben von zwölf Lohntarifabschlüssen getätigt. Zuletzt stand der Bezirk im Sommer im Mittelpunkt, weil dort auch der Tarifvertrag zur Altersteilzeit besiegelt wurde. Die Tarifverhandlungen im Südwesten beginnen am 7. Oktober. Zwei weitere Termine zwischen IG Metall und dem regionalen Arbeitgeberverband Südwestmetall sind noch im Oktober vereinbart. Die Friedenspflicht endet am 31. Oktober. Danach darf gestreikt werden.

Acht Prozent mehr Lohn - ist das eine vernünftige Forderung? Nur so wird die Schieflage zwische Gewinnen und Löhnen korrigiert, meint Jörg Hofmann, IG Metall-Chef Baden-Württemberg.

taz: Herr Hofmann, haben Sie noch alle Tassen im Schrank?

Jörg Hofmann: Ich habe sie gezählt. Es fehlt keine. Aber diese Aussage ist einfach ungeheuerlich.

Es ist die Aussage von Gesamtmetall-Chef Martin Kannegiesser.

Hofmann: Wenn einem so ein Satz rausrutscht, brauch ich den nicht ständig zu wiederholen. Aber das hilft bei der Mobilisierung.

taz: Die IG Metall fordert 8 Prozent mehr Lohn. Warum wollen Sie Tassen aus Meißner Porzellan?

Hofmann: Von wegen Meißner Porzellan. Wir wollen acht Prozent, weil die Metall- und Elektroindustrie 2007 und wohl auch 2008 das beste Ergebnis seit 40 Jahren einfährt. Wir hatten im ersten Halbjahr 2008 die größte Auslastung der Betriebe seit 1970. Und dazu haben nicht nur die Arbeitgeber mit schlauen Entscheidungen beigetragen. Dieses sensationelle Ergebnis haben die Metaller und Metallerinnen in den Betrieben erwirtschaftet. Da kann es nicht sein, dass sie damit belohnt werden, dass die hohe Inflation in diesem und im nächsten Jahr ihre Einkommenserhöhungen auffrisst. Während auf der anderen Seite die Gewinne der Unternehmen ins Endlose schießen.

taz: Aber warum fordern Sie so viel in einen Abschwung der deutschen Wirtschaft hinein?

Hofmann: Wir gehen auch davon aus, dass wir 2009 ein geringeres Wachstum haben werden. Aber der Export-Mix in unserer Branche hat sich derart verändert, dass die Finanzkrise in den USA uns zwar treffen wird, weil schon Aufträge zurückgehen werden, aber nicht mehr so hart. Die wachsenden Märkte in China und Russland sind mittlerweile wichtiger als die USA. Insofern wird es auch 2009 noch ein gutes Weltwirtschaftswachstum geben. Und den Binnenmarkt darf man auch nicht vergessen: Da werden Lohnerhöhungen noch viel notwendiger, weil die Verbraucher unsicher sind. Schauen Sie sich doch nur mal die sinkenden Zulassungszahlen bei Autos in Deutschland an.

taz: Jetzt kommen Sie bitte nicht mit dem Kaufkraft-Gassenhauer: Autos kaufen keine Autos.

Hofmann: Den lass ich weg. Gerade ist es aber so, dass der Flottenbestand im Durchschnitt mittlerweile auf über acht Jahren gestiegen ist. Das ist weder ökologisch sinnvoll, weil viele davon alte Dreckschleudern sind. Noch ist es für unsere Fahrzeugindustrie und die Arbeitsplätze dort sonderlich hilfreich. Die Leute sparen gerade, was das Zeug hält.

taz: Die Arbeitgeber sagen: Nur vier der acht Prozent sind durch gesamtwirtschaftliches Wachstum und Inflationsrate mit Fakten begründbar, der Rest ist "Gefühl". Was fühlt die IG Metall?

Hofmann: Die Ertragsentwicklung hat doch nichts mit Gefühlen zu tun. 2007 hatten wir Gewinnzuwächse in unserer Branche von 11 Milliarden Euro. Die Lohn- und Gehaltssumme aller Beschäftigten lag aber nur bei sieben Milliarden Euro - und da sind die Mehrkosten für die neu entstandenen Arbeitsplätze schon mitgerechnet. Da fehlen also vier. Das Ungleichgewicht zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern hat sich also noch mal erhöht. Wir haben beim Tarifabschluss 2007, das müssen wir zugeben, die Gewinnmöglichkeiten der Unternehmen unterschätzt. Obwohl es die größte Lohnerhöhung seit 15 Jahren war. Deshalb haben wir jetzt keinen Grund zur Zurückhaltung. Zumal diese Schere zwischen Gewinnen und Einkommen eine strukturelle und keine einmalige Angelegenheit ist.

taz: Sie argumentieren erstmals mit dem Begriff der "Gerechtigkeitslücke", für die Sie die Unternehmen verantwortlich machen, weil deren Gewinne nicht im Verhältnis zu den Lohnerhöhungen stünden.

Hofmann: Ja. Früher nannten wir dies Umverteilungskomponente.

taz: Wie bitte? "Gerechtigkeit" ist nur ein neues Label?

Hofmann: Was wir damit meinen, ist, dass die Verteilungsschieflage zwischen Gewinnen und ausbezahlten Löhnen korrigiert werden muss. Und Gerichtigkeitslücke nennen wir das, weil die Menschen merken, dass diese Schieflage viel stärker als früher dazu führt, dass das verdiente Geld der Unternehmen nicht in Arbeitsplätze von Morgen investiert wird. Sie merken, dass sich manche endlos bereichern, dass gerade durch die Finanzkrise Milliarden vergeudet und die Verluste anschließend wieder sozialisiert werden. Dieses Ungleichgewicht in der Verteilung von Gewinnen geht über den Rand der unmittelbaren Branche hinaus. Und das thematisieren wir.

taz: War es denn ungerecht, dass die Arbeitgeber in den vergangenen beiden Jahren über 250.000 Arbeitsplätze geschaffen haben?

Hofmann: Das ist natürlich klasse. Aber das war die gute Auslastung, nicht die Arbeitgeber, die dafür verantwortlich waren. Und das ändert auch nichts an der Ungleichverteilung der Gewinne.

taz: War es denn ungerecht, dass 60 Prozent der Unternehmen Prämien ausgeschüttet haben? Da haben Sie doch Ihre Gewinnbeteiligung.

Hofmann: Wenn eine Firma, sagen wir mal unsere Porsches...

taz: ...die 6.000 Euro an Prämien ausgeschüttet haben.

Hofmann: Ja, obendrauf. Wir möchten die Porsche-Manager gar nicht zurückhalten, wenn sie ihre Millionengehälter damit legitimieren wollen, indem sie ihren Arbeitern auch was abgeben.

taz: Aber?

Hofmann: Das sind doch Einzelfälle. Und Flächentarifverträge haben den Sinn, dass sie die Einkommensbedingungen der ganzen Branche regeln. Und in der gibt es nicht nur Porsches.

taz: Ihre Lohn-Formel ging bisher immer vom gesamtwirtschaftlichem Wachstum aus. Weil das ein solidarisches Moment mit anderen, schwächeren Branchen und Gewerkschaften hatte. Kündigt die IG Metall gerade ihre solidarische Lohnpolitik, wenn Sie jetzt so massiv auf die Branchenkonjunktur schielt?

Hofmann: So weit würde ich nicht gehen.

taz: Wie weit würden Sie gehen?

Hofmann: Wir müssen uns mittelfristig die Frage stellen, wie wir einer Situation begegnen, in der die Exportindustrie extrem höhere Produktivitätsgewinne und Unternehmensgewinne erzielt als die Sektoren mit Binnendienstleistungen.

taz: Das wird die Gewerkschaft Ver.di nicht gerne hören.

Hofmann: Aber es ist nun mal Fakt, dass sich dieser Unterschied in den vergangenen 15 Jahren vergrößert hat.

taz: Und Ihr Arbeitnehmer in der Automobilindustrie wird irgendwann nicht mehr solidarisch sein, wenn er ständig verzichten muss, um den Ver.di-Angestellten, im Amt zuständig für Einkommensteuer L bis Z, mitzuschleppen?

Hofmann: Weil dieses solidarische Prinzip zerbricht, wenn wir starr an der solidarischen Lohnformel festhalten. Weil ich es den Leuten nicht vermitteln kann, wenn es in ihrer Branche gerade so einen Peak bei der Gewinnentwicklung gibt. Bei dieser Tarifrunde hat die Branchenkonjunktur tatsächlich ein höheres Gewicht als früher.

taz: Nur bei dieser?

Hofmann: Die IG Metall selbst hat Branchen wie die Bekleidungsindustrie oder Teile des Handwerks, die dringend darauf angewiesen sind, dass sie sich an Ergebnisse der Metall- und Elektroindustrie ranhängen können. Deshalb halte ich die Grundsätze der solidarischen Lohnpolitik für tragfähig, aber nur, wenn wir sie ausdifferenzieren.

taz: Herr Hofmann, Sie haben für Oktober in Ihrem Bezirk Baden-Württemberg mit den Arbeitgebern schon drei Verhandlungstermine vereinbart. Kann die IG Metall überhaupt ohne Warnstreiks?

Hofmann: Wir kommen ohne aus, wenn wir schnell zum Ergebnis kommen.

taz: Kommen Sie!

Hofmann: Es ist eine reine Lohnrunde. Da sollten wir nach vier Verhandlungsrunden auch zum Ende kommen. Das schaffen wir bis Anfang November. Wir haben kein Interesse, die Auseinandersetzung künstlich in die Länge zu ziehen. Ich gehe davon aus, dass das auch die Arbeitgeber nicht wollen - und uns ein Angebot schon in der zweiten Verhandlungsrunde vorlegen. Denn die Arbeitnehmer wollen nicht schnell streiken, sondern schnell ihr Geld.

JÖRG HOFMANN, 52, Diplom-Ökonom, ist seit 2003 Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg - als Nachfolger von IG-Metall-Chef Berthold Huber. Zuletzt hat er im Südwesten den Tarifvertrag zur Altersteilzeit ausgehandelt.

Letzte Änderung: 06.10.2008