Geld und Gerechtigkeit

IG Metall Interview

06.10.2008 Gewerkschaftschef Jörg Hofmann zur Tarifverhandlung der Metallindustrie - Interview mit IG Metall Bezirksleiter Jörg Hofmann - Südwestpresse - 4. Oktober 2008 - Das Gespräch führte Helmut Schneider

Samstags-Gespräch

Neue Runde
Nächste Woche beginnen die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie. In ihr arbeiten 3,6 Millionen Menschen. Jörg Hofmann leitet bei der IG Metall die Verhandlungen im Pilotbezirk Baden-Württemberg. Die Gewerkschaft fordert 8 Prozent mehr Lohn.

Mit der höchsten Lohnforderung seit 16 Jahren geht die IG Metall Baden-Württemberg jetzt in die Tarifverhandlungen. Ihr Chef Jörg Hofmann begründet dies auch mit dem Gesichtspunkt Gerechtigkeit.

Herr Hofmann, die Finanzwirtschaftskrise schürt stellenweise panikartige Ängste in der Bevölkerung. Da kommt Ihre Forderung nach 8 Prozent mehr Lohn doch zur Unzeit?

JÖRG HOFMANN: Natürlich beobachten auch wir die Märkte. Aber selbst das arbeitnehmernahe Institut der Deutschen Wirtschaft rechnet mit nur geringen Auswirkungen auf die Realwirtschaft in Deutschland. Auch ich sehe keine Rezessionsgefahr.

Aber auch von Ihrer Metall- und Elektroindustrie (ME) kommen schlechte Nachrichten. Der Auftragseingang ist zurückgegangen, im Maschinenbau sogar sehr stark.

HOFMANN: Die Auftragseingänge schwanken von Monat zu Monat. Eine Fliege macht noch keinen Sommer. Das Niveau ist immer noch sehr hoch. Was wir hier sehen, ist eher eine Rückkehr zur Normalität.

Ihre Branche ist stark exportorientiert. Eine lahmende US- und Weltkonjunktur würde sie doch treffen?

HOFMANN: Wir exportieren vergleichsweise weniger nach Nordamerika, dafür immer mehr in die Schwellenländer. Das ist in der aktuellen Situation ein Vorteil.

Als Richtschnur für Lohnforderung haben Sie sich bisher an den Komponenten Produktivitätszuwachs und Preissteigerung orientiert. Der Aspekt "Gerechtigkeit" ist neu.

HOFMANN: Ja. In den vergangenen Jahren hat sich die Schere zwischen den Unternehmensgewinnen und den Arbeitseinkommen in unserer Branche weiter geöffnet. Wir stellen zwar die höchste Lohnforderung seit 16 Jahren, doch die Unternehmensgewinne sind die höchsten seit 40 Jahren. Eine Zahl dazu: 2007 sind die Gewinne der ME-Unternehmen um 11 Mrd. EUR gestiegen; die Lohnsumme aber nur um 7 Mrd. EUR.

Zu dieser Lohnsumme zählen auch die Einkommen für die 200 000 neuen Jobs, welche die ME-Industrie in Deutschland in den vergangenen eineinhalb Jahren geschaffen hat.

HOFMANN: Darüber sind wir ja auch froh. Allerdings sind etwa 10 Prozent der Belegschaften in Leiharbeit oder Mini-Jobs beschäftigt und profitieren nicht so wie die Stammbelegschaft.

Aber der Hinweis, dass der Aufschwung nicht angekommen ist, kann für Ihre Branche nicht gelten. Die Mitarbeiter haben auch in der Vergangenheit schon gut verdient.

HOFMANN: Sie machen auch eine sehr gute Arbeit. Die Erwartung in den Betrieben ist angesichts hoher Leistungsverdichtung gleichwohl, dass die seit sechs Jahren sich weiter öffnende Schere zugunsten der Gewinne sich etwas schließt. Zudem frisst die Inflation die erreichten Tarifsteigerungen auf. Auch da gibt es Nachholbedarf, um 2008 die Realeinkommen zu sichern.

Ist dies die tatsächliche Erwartung der Arbeitnehmer oder nur die ihrer Gewerkschaft?

HOFMANN: Gehen Sie mal in die Betriebe. Gerade bei Ihnen in Ulm etwa waren auch zweistellige Forderungen zu hören. Die Leute lesen ja auch die Zeitung, bekommen mit, was die Manager in den Unternehmen machen, sehen die Milliarden, die jetzt im Zuge der Finanzmarktkrise aus Steuern zur Verfügung gestellt werden, nachdem sich manche goldene Nasen verdient haben.

Aber die Tarifpolitik ist doch nicht der Hebel, um die Ungerechtigkeit der Welt zu beseitigen?

HOFMANN: Ich will nur anführen, worauf das Gefühl der Arbeitnehmer beruht und dass es ein Defizit an Gerechtigkeit gibt.

Wird die Ungerechtigkeit nicht noch größer, wenn hohe Löhne zu höherer Arbeitslosigkeit führen?

HOFMANN: Wir sind uns dieser Verantwortung als Gewerkschaft durchaus bewusst. Es geht in der Tat nicht nur um höhere Löhne, sondern auch um Beschäftigung.

Mit höheren Einmalzahlungen könnte man doch beidem gerecht werden: Ihrem Verlangen nach stärkerer Beteiligung an den Gewinnen und der Befürchtung der Arbeitgeber, dass die Konjunktur einbricht. Werden Einmalzahlungen dieses Mal ein größeres Gewicht haben?

HOFMANN: Die Arbeitgeber werden darauf drängen. Aber Einmalzahlungen haben einen entscheidenden Nachteil: Es gibt sie nur einmal. Unser Hauptaugenmerk ist deshalb, Lohnerhöhungen zu bekommen, die bleiben - denn die Preiserhöhungen bleiben ja auch.

Einen Ausgleich dafür hat Gesamtmetall-Chef Martin Kannegiesser ja schon zugestanden.

HOFMANN: Wenn das gilt, wären wir ja schon ein Stück weiter.

Ein hoher Lohnabschluss befördert den Trend, dass Arbeitgeber aus dem Verband aussteigen. Die Tarifbindung ist in den vergangenen zehn Jahren in Ihrer Branche von 60 auf 50 Prozent gesunken. Das kann nicht in Ihrem Interesse sein.

HOFMANN: Aber auch nicht im Interesse der Arbeitgeber. Der Flächentarifvertrag sichert Stabilität in unserer hoch vernetzten Branche. Ob ein Arbeitgeber im Verband bleibt, richtet sich im Übrigen auch danach, wie stark die IG Metall in seinem Betrieb vertreten ist.

Rechnen Sie mit schwierigen Verhandlungen?

HOFMANN: Wir haben erst im vergangenen Monat ein inhaltlich schwierigeres Thema wie die Altersteilzeit gelöst. Im Prinzip geht es jetzt eigentlich nur um eine einfache Zahl. Ich halte es für machbar, dass wir bis Ende dieses Monats eine Lösung haben.

Zu Weihnachten wollen Sie den Arbeitnehmern Geld bescheren?

HOFMANN: Genau. Ende November laufen die Lohnabrechnungen. Wenn wir da nicht ein Ergebnis haben, schaut man im Dezember unterm Weihnachtsbaum ins Leere. Diesen traurigen Blick von hunderttausenden Metallern will ich uns nicht antun. Und die Beschäftigten werden es auch gar nicht zulassen.

Letzte Änderung: 06.10.2008