Ausstieg aus dem frühen Ausstieg?

IG Metall Interview

20.06.2008 Financial Times Deutschland hat am 12. Juni 2008 zum Thema Altersteilzeit die Verhandlungsführer der Tarifparteien befragt. Hier das Statement von IG Metall Bezirksleiter Jörg Hofmann (Pro)

Arbeitgeber und Gewerkschaften streiten über die Zukunft der Altersteilzeit, in Baden-Württemberg hat die IG Metall in diesen Tagen bereits erste Warnstreiks organisiert. Was spricht für einen vorzeitigen Ausstieg, was dagegen?

Jörg Hofmann (Pro)

Allen Unkenrufen zum Trotz hat sich die bisherige Altersteilzeit zum Erfolgsmodell für die Metall- und Elektroindustrie entwickelt. Seit Abschluss des ersten Tarifvertrags steigt die Zahl der Teilnehmer von Jahr zu Jahr an. Umfragen bei den Betriebsräten zeigen: Wo Altersteilzeit möglich ist, wird im Schnitt die Quote von fünf Prozent nahezu ausgeschöpft. Gleichzeitig ist die Zahl der Frühverrentungsfälle massiv gesunken, und das durchschnittliche Zugangsalter in die Rente ist - dank der Altersteilzeit - gestiegen. Die Menschen bleiben länger in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung.

Die Gründe für diese Erfolgsgeschichte liegen auf der Hand:

Erstens gab es in vielen Betrieben zuletzt nur hohe Ausbildungs- und Übernahmezahlen, weil die Altersteilzeit Platz für kommende Generationen geschaffen hat. In vielen Fällen, gerade in mittelgroßen Betrieben, liegt die Wiederbesetzung bei 100 Prozent.

Zweitens ist die Arbeit in der Metall- und Elektroindustrie alles andere als "alternsgerecht": Kurze Takte von wenigen Sekunden, Zergliederung von Arbeitsaufgaben und rigide Leistungsvorgaben bei ständig knappen Personalressourcen sind die Regel. Zudem werden aufgrund der Kostenoptimierung bei kapitalintensiven Anlagen die Arbeitszeitmodelle ausgeweitet. Das heißt immer öfter: arbeiten rund um die Uhr. Nur 17 Prozent der Betriebe stellen sich überhaupt auf älter werdende Belegschaften ein, seit 2002 ist diese Zahl sogar rückläufig. In der Metall- und Elektroindustrie, die im internationalen Wettbewerb steht, werden Versuche einer alternsgerechteren Arbeitsgestaltung mit einem massiven Kostendruck konfrontiert. Entsprechende Forderungen von Gewerkschaften und Betriebsräten diskreditieren Arbeitgeber häufig als "Humanisierungsduselei" und drohen mit der Verlagerung.

Und nicht zuletzt: Schon heute ist Altersteilzeit das letzte Instrument, mit dem ein sozial akzeptierter Ausstieg noch möglich ist - sei es, weil man nicht mehr kann, sei es, weil es Teil der eigenen Lebensplanung ist. Oder dass damit ein Jüngerer eine Perspektive auf Beschäftigung erhält - ohne dass die Sozialkassen zusätzlich belastet werden. Während der Altersteilzeit fließen weiterhin Steuern und Sozialabgaben, leisten die Beschäftigten Beiträge zur Rentenversicherung. Aber auch die Betriebe profitieren in Form einer ausgewogenen Altersstruktur von diesem Instrument.

All das wird jetzt infrage gestellt. Durch den Wegfall der Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit ab 2010 laufen die bisherigen Tarifverträge zur Altersteilzeit ins Leere. Die IG Metall bleibt bei ihrer Forderung an die Bundesregierung, auch für die Zukunft eine Förderung, insbesondere für die Ausbildung und Übernahme von Auszubildenden, zu ermöglichen: Das ist umso wichtiger, als in den nächsten Jahren die Schulabgängerzahlen in den alten Bundesländern weiter wachsen, während der Berg der Altbewerber nicht signifikant geschrumpft ist.

In der aktuellen Tarifauseinandersetzung geht es um das Wie der Fortschreibung des Erfolgsmodells. Die IG Metall fordert einen belastbaren Anspruch auf Altersteilzeit, wie er heute existiert, eine echte Mitbestimmung der Betriebsräte, eine Fortschreibung der materiellen Bedingungen in Altersteilzeit sowie eine Verbesserung der Bedingungen für die unteren Lohngruppen.

Auch die Metallarbeitgeber sind weiterhin für die Altersteilzeit - aber eine nach Gutsherrenart! Sie wollen letztlich allein darüber bestimmen, für wen künftig das Instrument noch infrage kommt. Ihr Vorschlag einer Neuformulierung des Anspruchs auf Altersteilzeit würde nur wenige Betriebe und noch weniger Beschäftigte treffen. Der Anteil von heute fünf Prozent der Beschäftigten würde auf einen Promillebereich begrenzt. Ganze Beschäftigtengruppen - Facharbeiter, Kaufleute, Entwickler und viele weitere - wären komplett ausgeschlossen.

Wir brauchen ein massives Umdenken in Richtung alternsgerechter Arbeit. Dies ersetzt nicht, jetzt und heute Antworten auf die beschäftigungspolitischen Herausforderungen der Betriebe und der Beschäftigten in der Branche zu geben. Die Fortschreibung der Altersteilzeit ist eine davon.

Letzte Änderung: 20.06.2008