Wir lassen uns nicht wie Schulbuben ...

IG Metall - Interviews

04.06.2008 ... heimschicken - IG-Metall-Bezirkschef verschärft den Konflikt um Altersteilzeit - Interview mit dem IG Metall Bezirksleiter Jörg Hofmann ...

... in der Stuttgarter Zeitung am 4. Juni 2008 - Das Gespräch führte Matthias Schiermeyer.

Seit der vergangenen Nacht schickt die IG Metall in einer ersten Welle 100 000 Beschäftigte aus 150 Betrieben in den Warnstreik, um einen Tarifvertrag zur Altersteilzeit zu erzwingen. Baden-Württemberg ist als Pilotbezirk auserkoren. Was der Konflikt noch an Brisanz birgt, darüber sprach Matthias Schiermeyer mit IG-Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann.

Bis jetzt scheint der Streit um die Altersteilzeit beherrschbar. Kann er eskalieren?

Ich möchte eine Lösung bis zur Sommerpause. Die Alternative wäre, dass wir von September an mit einem offenen Konflikt in die Entgeltrunde marschieren, und da haben wir schon genügend Ansprüche zu befriedigen. Beide Seiten tun gut daran, dass sie sich an ihre gemeinsame Unterschrift erinnern, bis Juni zum Ergebnis zu kommen.

Die IG Metall sei bei den Warnstreiks steigerungsfähig, haben Sie gewarnt.

Wir sind steigerungsfähig, was die Zahl der einbezogenen Betriebe und die Dauer der Aktionen angeht. Zunächst warten wir mal die nächsten Verhandlungen am 9. Juni ab. Die Woche danach wird es, wenn notwendig, zur bundesweiten Ausweitung des Konfliktes kommen. Dies betrifft nicht nur die Konzerne, die in mehreren Bundesländern vertreten sind, wie Daimler, Bosch, Mahle oder ZF. Alle Bezirksleitungen haben eigenständige Aktionsplanungen von Mitte Juni an.

Ist ein Arbeitskampf denkbar?

Wir können einen Arbeitskampf nicht ausschließen. Der Konflikt um die Altersteilzeit wird dann deutlich an Schärfe gewinnen, wenn er auch noch mit dem Thema Entgelt zusammenfällt. Ich kann mir daher im Moment nur vorstellen, dass wir schauen, wie die Warnstreikwelle läuft, und dann mit Blick auf die Ferientermine über die Marschrichtung entscheiden. Wir werden uns aufgrund der Verweigerungshaltung der Arbeitgeber nicht wie die Schulbuben nach Hause schicken lassen. Wir brauchen eine Lösung, die wir, wenn nötig, in der Zuspitzung suchen.

Ende Juni scheint keinesfalls zu klappen - das zeigt auch die Skepsis der Arbeitgeber. Also muss bis Mitte Juli ein Ergebnis her?

Wenn es zunächst mal darum geht, in einem Verhandlungsergebnis klare Eckpunkte zu beschreiben, dann werden sich bis zur Sommerpause Lösungen finden lassen. Das ist machbar, alles andere ist Herausgerede. Aber wir sind noch weit davon entfernt, in substanzielle Verhandlungen einzutreten. Die Arbeitgeber haben ja noch nicht einmal ein Gesamtkonzept vorgelegt.

Sie halten nichts davon, das Thema auszusetzen, um es zur Not nach der Entgeltrunde weiter zu betreiben?

Nein, eine Vertagung auf 2009 halten wir nicht für sinnvoll. Die Welt wird ja nicht schöner dadurch - was ist 2009 anders als heute? Wir sind jetzt in der Mobilisierung drin, das Thema zieht, und wir wollen ein Ergebnis. Ich lass mir doch nicht von den Arbeitgebern diktieren, wann Verhandlungen genehm sind. Der Tarifvertrag zur Altersteilzeit ist zwar erst 2010 richtig wirksam, wir brauchen aber eine Planungssicherheit für die Betriebe und unsere Kollegen. Insofern ist jetzt für Klarheit zu sorgen.

Das komplexe Thema eigne sich nicht für Druck von der Straße, sagen die Arbeitgeber. Geht Gründlichkeit nicht vor?

Im Wesentlichen gehen wir von einer bestehenden Praxis aus und betreten kein Neuland. Die veränderten Rahmenbedingungen zum Beispiel beim Rentenrecht sind uns allen bewusst. Und beide Seiten wissen, wie das Instrument der Altersteilzeit einzusetzen ist. Insoweit kann ich das Argument der Arbeitgeber nicht nachvollziehen.

Müssen Sie nicht zugeben, dass die Altersteilzeit ein teures Instrument ist, mit dem vor allem Konzerne auf Kosten der Allgemeinheit günstig Personal abbauen?

Jeder, der die Kosten der Altersteilzeit beklagt, muss auch die Alternativen benennen. Wenn wir die Altersteilzeit nicht hätten, würde beim Personalabbau der Vorruhestand wieder verstärkt genutzt. Oder aber die Menschen, die nicht mehr können, würden über die Erwerbsminderungsrenten hinausgedrängt. Beides würde die Sozialkassen deutlich stärker belasten. Mit der Altersteilzeit halten wir die Leute zunächst mal länger in einer Beschäftigung, so dass Steuern und Sozialabgaben fließen, obwohl sie früher ausscheiden.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) gibt jährlich immerhin bis zu 1,5 Milliarden Euro für die Förderung von etwa 100 000 Altersteilzeitfällen. Das ist doch viel Geld.

Im Vergleich zum BA-Überschuss von neun Milliarden Euro im vergangenen Jahr ist das sinnvoll angelegtes Geld.

Nach einem Beschluss des SPD-Präsidiums soll die Altersteilzeit vom 57. Lebensjahr nur noch dann gefördert werden, wenn im Gegenzug Auszubildende übernommen werden. Kommt Ihnen das entgegen?

Ich finde das zunächst eine gute Entwicklung innerhalb der SPD, weil es im Prinzip eine 180-Grad-Wende ist zu dem, was der frühere Arbeitsminister Müntefering noch bis vor einigen Monaten vertreten hat. Wir sehen da durchaus selbstbewusst einen Miterfolg unserer Argumentation. Es ist ein Weg in die richtige Richtung, weil er auf die Übernahme von im Betrieb Ausgebildeten fokussiert. Bis 2013 haben wir weiter steigende Schulabgängerzahlen, so dass der Druck, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, nicht nachlassen darf. Insoweit sind manche Mitnahmeeffekte ausgeschlossen, und wir haben eine gezieltere Förderung, die naturgemäß die Zahl der Förderfälle einschränkt. Allerdings hat Arbeitsminister Scholz seinen Vorschlag bis 2015 befristet. Wir brauchen aber eine Altersteilzeit, die über einen längeren Zeitraum wirkt. Insoweit müssen wir Tariflösungen unabhängig von der BA-Förderung finden.

Die Union lehnt das SPD-Vorhaben ohnehin ab. Hat es überhaupt eine Chance?

Es ist eine schwierige Situation. Klar ist: wenn der SPD-Vorschlag nicht zügig umgesetzt wird und wir in die zugespitzteren Wahlkampfzeiten kommen, werden pragmatische Lösungen, die bis dato in der Großen Koalition noch möglich waren, deutlich schwerer. So hängt es auch von den Arbeitgeberverbänden ab. Wenn sich BDA und Gesamtmetall klar für die Förderung einsetzen würden, wäre der Prozess einfacher. Ich kann da nur sagen: Wer sich ordnungspolitisch so verpolt, kann nicht die Folgen einer solchen Entscheidung auf die Schultern der Arbeitnehmer abwälzen. Wenn die Arbeitgeber die BA-Förderung zur Entlastung der Altersteilzeit nicht für notwendig halten, werden sie sich diese Meinung in die eigenen Bücher buchen lassen müssen.

Warum lehnen Sie die bisherigen Vorstellungen von Südwestmetall ab?

Es ist ein in sich konfuses Gedankengebilde, das die Arbeitgeber da eröffnen. Was sie bisher präsentiert haben, ist ein Detail eines Gesamtkonzeptes. 90 Prozent der Betriebe hätten demnach überhaupt keinen Anspruchsberechtigten. Daneben gäbe es eine Reihe von Betrieben, die sehr stark betroffen wären wie die Gießereien und Härtereien, wo kaum ein Arbeitnehmer über 60 Jahren zu finden ist. Zudem würde die geforderte Begrenzung auf zwei Prozent der Beschäftigten pro Betrieb so restriktiv wirken, dass die Zahl der Anspruchsberechtigten in der gesamten Metall- und Elektroindustrie deutlich im Promillebereich liegen würde. Bisher haben immerhin fünf Prozent der Beschäftigten eines jeden Betriebs einen Anspruch.

Die Arbeitgeber dringen zudem darauf, dass sich die Arbeitnehmer in irgendeiner Form beteiligen müssen - sei es individuell oder kollektiv.

Eine Eigenbeteiligung der Betroffenen selbst kommt keinesfalls infrage. Alles Weitere hängt von der Gestaltung des Tarifvertrags ab und von der Frage, was unsere Kollegen konkret und auf Dauer davon haben.

IG Metall will vor allem den unteren Entgeltgruppen den lukrativen Ausstieg erhalten. Dann würden die Betriebe übermäßig belastet, die viele Beschäftigte in den besonders belastenden Tätigkeiten haben.

Tatsache ist, dass diese Beschäftigten den größten Bedarf an Altersteilzeit haben. Deswegen bevorzugen wir betriebsnähere Lösungen, bei der die Betriebsparteien auf Basis tariflicher Ansprüche gestalten können.

Wie hoch sind die Erwartungen vor der Entgelttarifrunde im Herbst?

Die Erwartungen ergeben sich aus den bisherigen Tarifabschlüssen des Jahres. Diese Zahlen von Stahl, Chemie und öffentlichem Dienst werden zu Recht nicht vergessen. Die Erwartungen werden auch geprägt von der Inflation, die im Mai wieder über drei Prozent liegt. Und sie werden geprägt von der hervorragenden Auslastung und den Erträgen der Unternehmen. Der Metall- und Elektroindustrie geht es nach wie vor glänzend.

Nun wird das Tarifergebnis aber weit in das Jahr 2009 hineinreichen.

Das ist richtig. Die Erwartungshaltung der Beschäftigten orientiert sich aber an dem, was sie im Moment erleben.

Gibt es keine Anzeichen, dass die Branchenkonjunktur nachlassen könnte?

Im Moment nein. Wir werden 2008 ein Wachstum auf hohem Niveau haben. Die Dollarschwäche wirkt sich bis auf wenige vom Dollar sehr abhängige Betriebe wie Heidelberger Druck bis dato nicht auf den Auftragseingang aus dem Ausland aus. Zudem haben wir eine weitere Senkung der Lohnstückkosten, so dass sich die Wettbewerbssituation international erneut verbessert hat.

Die Linke startet am Samstag in Stuttgart eine bundesweite Rentenkampagne mit Beteiligung der IG Metall. Handelt es sich um eine konzertierte Aktion?

Wenn sich die Linkspartei für das Thema stark macht, nehme ich das genauso zur Kenntnis, wie wenn sich die Sozialdemokratie bei der Rente deutlich verändert hat.

Wie attraktiv ist die Linke für die Gewerkschaft - viele Metaller, Mitglieder und Funktionäre sind dort engagiert?

Jedem Gewerkschafter steht frei, sich politisch zu äußern. Wir tun als Einheitsgewerkschaft gut daran, mit jeder demokratischen Partei zu sprechen, um Mehrheiten für Arbeitnehmerpolitik im Bundestag zu bekommen. Das gilt auch für die CDU - gerade bei der Altersteilzeit. Da bin ich enttäuscht, mit welcher Zurückhaltung die Landesregierung hier Industrie- und Wirtschaftsinteressen vertritt.

Gibt es noch Spannungen in der IG Metall, weil der eine Teil die SPD und der andere die Linke stärken will?

Wir sind im Fünfparteiensystem angekommen. Ich kann daher konstatieren, dass die Frage bei uns nicht in die Gewerkschaftsarbeit hineinspielt. Und ich hoffe, dass die Wallungen des Bundestagswahlkampfs an diesem Zustand nichts ändern, weil es für Arbeitnehmerinteressen hinderlich wäre, wenn wir uns nach Parteipräferenzen aufteilen würden.

Letzte Änderung: 04.06.2008