"Die Beschäftigten um die Früchte ...

IG Metall Aus den Medien

21.02.2008 ... der Arbeit betrogen" - Stuttgarter Zeitung vom 21. Februar 2008 - von Matthias Schiermeyer

Der IG-Metall-Chef Berthold Huber redet den Unternehmern ins Gewissen: In der Wirtschaft hat die Maßlosigkeit um sich gegriffen

Berthold Huber hat die baden-württembergischen Unternehmer ermahnt, die von Großverdienern der Wirtschaft ausgelöste Steueraffäre nicht zu bagatellisieren, sondern zur Aufklärung beizutragen. Es handele sich keineswegs um Einzelfälle, sagte der Gewerkschafter.

Berthold Huber ist als früherer Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg ein alter Bekannter für die schwäbischen Unternehmer. Doch seitdem er Chef der mächtigsten Gewerkschaft ist, beobachten sie den gebürtigen Ulmer mit stark erhöhter Aufmerksamkeit. Von ihm erhoffen sie sich Veränderung und Innovation. Somit standen anlässlich des "Forums Wirtschaft" in der BW-Bank viele Edelkarossen am Dienstagabend auf dem Kleinen Schlossplatz - während die Hauptperson mit der Bahn angereist war.

"Zwischen Klassenkampf und Globalisierung" lautete der Titel, doch Huber eignet sich nicht für derlei Parolen. In seinen Sturm-und-Drang-Jahren mag er sie benutzt haben. Heute überzeugt der 58-jährige sogenannte Modernisierer die Unternehmer mit Besonnenheit und Nachdenklichkeit. Somit ist es schon sein schärfstes Schwert, wenn er infolge des Steuerhinterziehungsskandals von den Emotionen der Beschäftigten berichtet. Für diese seien die Vorgänge um Klaus Zumwinkel der beste Beweis, dass sie um die Früchte ihrer Arbeit betrogen würden. Und er selbst spüre, wie die Maßlosigkeit in den letzten Jahren um sich gegriffen habe.

Dass es sich bei Zumwinkel & Co. um Einzelfälle handelt, mag Huber nicht glauben, weil es viel mehr Banken und Steueroasen gebe, die Ähnliches praktizierten wie die Liechtensteiner LGT-Bank. Deshalb schreibt er den Spitzenvertretern der Wirtschaft ins Stammbuch: Sie sollten nicht bagatellisieren und akademisieren, sondern dem Problem offen entgegentreten und sich fragen, was sie zur Aufklärung beitragen könnten.

Die Gewerkschaften sieht Huber bereits "in der Rolle der Verteidigerin der sozialen Marktwirtschaft". Von Einwänden des Moderators Jürgen Offenbach, dass sich auch Arbeitnehmervertreter schon selbst bereichert hätten - siehe Franz Steinkühler, siehe Volkswagen-, ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen. Huber selbst sitzt in den Aufsichtsräten bei Audi sowie Siemens und berichtet, dass er für sein Mandat bei Siemens im vorigen Geschäftsjahr 133 000 Euro erhalten habe. Davon habe er 120 000 Euro an die gemeinnützige und gewerkschaftseigene Hans-Böckler-Stiftung abgeführt. Er stehe dafür ein, dass sich kein Arbeitnehmervertreter der IG Metall selbst bedienen könne.

Kritische Beiträge lieferten drei Unternehmer: die geschäftsführende Gesellschafterin des Sondermaschinenherstellers Gehring, Dorothee Stein-Gehring, sowie die Vorsitzenden der Aufsichtsräte von Behr und Bosch, Horst Geidel und Hermann Scholl. Vom Gewerkschaftschef forderten sie mehr leistungsbezogene Elemente beim Entgelt sowie eine Verlängerung der Arbeitszeit - "selbstverständlich ohne Lohnausgleich", wie Horst Geidel sagte. Auch in Baden-Württemberg solle die IG Metall vom Dogma der 35-Stunden-Woche abrücken, wie sie es andernorts längst getan habe. Hermann Scholl ergänzte: Genauso wie man seit den achtziger Jahren die Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn abgesenkt habe, müsse man sie jetzt "zu den Kosten der 35 Stunden" wieder hochfahren.

Huber verwies auf die zahlreichen Flexibilisierungsinstrumente. Schon anlässlich seiner Wahl Anfang November hatte er angekündigt, eine neue Arbeitszeitdebatte anstoßen zu wollen, weil die 40-Stunden-Woche de facto längst erreicht sei. Es sei aber "nicht redlich", wenn die Arbeitnehmer länger arbeiten sollten, ohne das ihnen zustehende Geld zu bekommen, fügte er nun an.

Weil die Zulieferer gern mit dem Kostendruck durch die Autohersteller argumentieren, wenn sie ihre Lohnkosten senken wollen, bemerkte der Gewerkschaftsvorsitzende: Die Tarifpolitik könne nicht deren Konflikt mit den Endproduzenten lösen. "Sagt es der Automobilindustrie selbst, wenn unzulässigerweise in Verträge eingegriffen wird", forderte er die Chefs der Zulieferer auf.

Letzte Änderung: 16.04.2008