Die IGM geht jetzt sehr schnell in ...

IG Metall Interview

03.05.2007 ... die Vollen - Interview mit dem IG Metall Bezirksleiter Jörg Hofmann in der Stuttgarter Zeitung am 2. Mai 2007 - Das Gespräch führte Mattias Schiermeyer

Der Bezirksleiter Jörg Hofmann sieht die Tarifverhandlungen am Donnerstag als letzte Chance vor einem Arbeitskampf.
Sollte es bis Freitag keinen Tarifabschluss geben, werde die IG Metall einen Streik beschließen, warnt ihr Verhandlungsführer Jörg Hofmann die Arbeitgeber. Den Bezirkschef fragte Matthias Schiermeyer.

Die IG Metall zeigt Flagge. Die Warnstreiks sollen so heftig sein wie nie zuvor?

Normalerweise legt die IG Metall ihre Warnstreikwellen über ein bis zwei Wochen an. Wir gehen jetzt sehr schnell in die Vollen. Allein am 2. und 3. Mai haben wir im Bezirk mehr als 400 Betriebe im Warnstreik. Auch was die Intensität, also die Dauer, angeht, werden wir angemessen Druck machen.

Kann der Arbeitsausfall angesichts des Auftragsbooms noch aufgeholt werden?

Teilweise ist das Aufholen nicht mehr möglich, weil die Unternehmen an sieben Tagen in der Woche ausgelastet sind. So haben die Warnstreiks eine massive ökonomische Wirkung wie auch schon der gebremste Umgang mit Mehrarbeit, den die Betriebsräte an den Tag legen. Das macht überdeutlich, warum ein Arbeitskampf nicht in die Zeit passt: Um die Aufträge abzuarbeiten, braucht man eine Belegschaft, die engagiert dabei ist und die sich nicht intensiv um ihre eigenen Interessen kümmern muss.

Streiken Sie den Aufschwung kaputt?

Es ist nicht unser sehnlichster Wunsch, zum Arbeitskampf zu kommen. Im Gegenteil - wir wollen eine schnelle Einigung. Die Arbeitgeber haben zwar relativ schnell ein erstes Angebot gemacht, was begrüßenswert war. Aber das ist schon wieder drei Wochen her, und seither hat sich nichts mehr getan.

Die Arbeitgeber sagen, die IG Metall wolle keinen Abschluss in der Friedenspflicht, sondern brauche die Selbstinszenierung?

Das ist eine interessensgeleitete Darstellung. Nach der vierten Verhandlungsrunde wurde in den Medien gestreut, Südwestmetall wäre abschlussbereit gewesen. Diese Bereitschaft zeigt sich daran, dass man sich bewegt. Und wir konnten in der Kernfrage der Lohnerhöhung keine Bewegung feststellen.

Der Südwestmetall-Vorsitzende Jan Stefan Roell sprach aber von sehr viel Bewegung.

Ich kann dies bis heute nicht nachvollziehen. Es gab de facto keinerlei substanzielle Bewegung. Wir haben unterschiedliche Laufzeitmodelle besprochen. Da lässt sich jede beliebige Lohnzahl dahinter stellen. Klar ist: je länger die Laufzeit, umso höher die Lohnzahl.

Warum soll die Einigung jetzt gelingen?

Der 3. Mai bietet die letzte Chance, in freien Verhandlungen zum Ergebnis zu kommen. Der Zwang zur Lösung ist extrem hoch.

Was wird passieren, wenn es jetzt nicht gelingt? Gibt es danach noch einen Rettungsversuch vor dem Arbeitskampf?

Wir bestreiten keine Auseinandersetzung mit langen Pirouetten. Es geht letztlich allein um eine Zahl. Kommt am Donnerstag oder Freitag kein Ergebnis zu Stande, steht die Große Tarifkommission abrufbereit und wird einen Antrag auf Urabstimmung und Streik beim Vorstand stellen. Die Streikbereitschaft ist hoch, die Leute haben die Nase voll vom Zurückstecken, während die Gewinne explodieren. Aus heutiger Sicht sehe ich in Baden-Württemberg keinen sechsten regionalen Verhandlungstermin. Wenn wir in der fünften Runde nicht die Kraft haben, wüsste ich nicht, was uns zuwachsen würde, wenn wir das Thema länger warm hielten. Den Arbeitgebern muss klar sein: Sie riskieren mehr als eine gescheiterte Verhandlungsrunde. Wenn kein Ergebnis kommt, heißt die Konsequenz Urabstimmung und Arbeitskampf.

Wann würde die Urabstimmung starten?

Von den Vorbereitungen her sind wir dazu zügig in der nächsten Woche in der Lage.

Zwischen deren Beginn und dem Streikauftakt wird dann nicht mehr verhandelt?

Das sind wir den Mitgliedern schuldig, die in der Urabstimmung entsprechend votieren.

Welche Signale erhalten Sie von der Gegenseite - hat es Spitzentreffen gegeben?

Nein, es gibt keine Signale über den Verhandlungstisch hinaus. Und zu Spitzengesprächen gibt es noch keinen Grund.

War es ein taktischer Fehler von Gesamtmetall-Präsident Kannegiesser zu sagen, der Abschluss dürfe nicht höher sein als im vorigen Jahr?

Er hat es sehr früh gesagt und sich seither in der Öffentlichkeit nie richtig korrigiert, sondern argumentiert seit über vier Monaten gegen jegliche Entwicklung der harten Fakten. Man hätte ja die Aussage im Dezember noch nachvollziehen können mit der Angst, dass es auf Grund der Mehrwertsteuererhöhung ein deutliches Abflauen in der Konjunktur gebe. Das hat sich nicht bewahrheitet. Kannegiesser muss im eigenen Laden die Politik plausibel machen, in die der Lösungsvorschlag hineinpasst. Aber er muss auch die Fakten zur Kenntnis nehmen.

Sind die 4,3 Prozent für die Chemieindustrie Ihre persönliche Messlatte?

Wir werden uns in der Lohnzahl an den Maßstäben der Metall- und Elektrokonjunktur orientieren. Und da ist der Finanzierungsrahmen günstiger als in der Chemie.

Kannegiesser befürchtet, dass die IG Metall nun das Gefühl für das Machbare verliert?

Die IG Metall verhält sich ausgesprochen verantwortungsvoll. Wenn wir das Augenmaß verloren hätten, hätten wir nicht mit viel Aufwand die Forderungsdiskussion auf eine Ebene gebracht, die sich weiter an gesamtwirtschaftlichen Größen orientiert. Es wird doch keiner ernsthaft glauben, dass wir nicht zumindest das ausschöpfen, was gesamtwirtschaftlich möglich und für die Metall- und Elektroindustrie finanzierbar ist.

Die Arbeitgeber werden einen hohen Lohnabschluss von Ihrer Zustimmung zum Konjunkturbonus abhängig machen?

Der Konjunkturbonus, wonach ein Teil der wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr in der Lohntabelle abgebildet werden soll, ist pure Ideologie der dauerhaften Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer. Die Konjunktur wird in der Lohnpolitik über unterschiedlich hohe Forderungen und Abschlüsse berücksichtigt. Ein Eingriff in die Substanz eines Tarifergebnisses lehne ich ab, denn der Konjunkturbonus ist eine Lohnerhöhung mit Verfallsdatum. Es wird ihn daher nicht geben.

Kann die Konstruktion der Einmalzahlungen aus dem Vorjahr nochmals aufleben?

Da bin ich sehr skeptisch, weil sie auf beiden Seiten massive Kritik ausgelöst hat - auf unserer Seite insbesondere in gut gehenden Betrieben im Zuge der Verrechnung mit ertragsabhängigen Vergütungsbestandteilen.

Also wird es gar keine betriebliche Differenzierung geben, obwohl nicht alle Unternehmen gleich gut dastehen?

Die wirtschaftliche Lage der Industrie ist doch in großer Breite gut bis sehr gut mit deutlich steigenden Umsatzrenditen. Wir haben selbstverständlich Krisenbetriebe, denen aber über die Pforzheim-Regelungen geholfen wird. Ich sehe keinen Zwang, den es für eine neue betriebliche Differenzierung gäbe.

Wird der Kompromiss somit in der längeren Laufzeit liegen mit einer stärkeren und einer niedrigeren Lohnerhöhung?

Ich kann mir eine Laufzeit von 18 Monaten bis September 2008 vorstellen, bei der man sicher mit zwei Prozentzahlen operieren muss. Damit könnte im nächsten Jahr eine Korrektur der zweiten Erhöhung erfolgen, wenn dies auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung erforderlich ist. Wegen der Sommerpause wird es schwerlich einen Abschluss von 13 oder 14 Monaten bis Mitte nächsten Jahres geben können. Und 20 Monate sind mir wiederum zu lang, weil wir dann fast schon in der Betrachtung von zwei vollen Perioden wären. Und da fallen die Risikoaufschläge und -abschläge erfahrungsgemäß auf beiden Seiten zu hoch aus.

Halten die Arbeitgeber an ihrer Forderung fest, den Betrieben beim Weihnachtsgeld mehr Spielraum zu geben?

Die Vehemenz ihres Wunsches ist in der vierten Runde deutlich geringer ausgefallen als zuvor. Ohne Zweifel halten sie dennoch am Prinzip der Differenzierung fest. Ich werde aber einen Teufel tun, das Weihnachtsgeld zu verhandeln, weil diese Differenzierung ein Eingriff in die tarifliche Substanz wäre. Zudem haben die Tarifparteien das Weihnachtsgeld schon als Ausgangspunkt für andere Regelungen genommen. Wir können den Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung nicht aufrechterhalten und das Weihnachtsgeld gleichzeitig variabel gestalten.

Letzte Änderung: 16.04.2008