"Warten kostet Jobs"

IG Metall Interview

06.11.2009 Interview mit IG Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann in der Frankfurter Rundschau - 4. November 2009 - Das Gespräch führte Eva Roth

Der mächtige Gewerkschafter Jörg Hofmann macht in Sachen Jobsicherung Druck: Nicht erst in der Tarifrunde im Frühjahr, sondern jetzt müsse man Arbeitsplätze retten. Geschehe nichts, könnten ganze Industrien wegbrechen.

FR: Die IG Metall hat die Jobsicherheit zu ihrem zentralen Ziel erklärt. Nach allem, was man bisher von Ihrem Vorsitzenden Huber und anderen hört, wollen sie das auch in der Tarifrunde 2010 zum Thema machen...

Jörg Hofmann: Wir müssen jetzt Lösungen suchen, um Entlassungen weiter zu verhindern. Wir können das Thema nicht vor uns herschieben und warten, bis die Tarifrunde beginnt. Überlegen Sie doch mal: Mit einem Tarifergebnis ist frühestens im Mai zu rechnen. Das ist zu spät um die Weichen wirksam für Beschäftigungssicherung im Jahr 2010 und darüber hinaus zu stellen.

FR: Was schlagen Sie konkret vor?

JH: Zunächst einmal ist die Politik gefordert. Die Regelung, dass Betriebe bis zu 24 Monate Kurzarbeit fahren können, läuft Ende dieses Jahres aus. Der neue Arbeitsminister Franz-Josef Jung muss diese Regelung ins nächste Jahr verlängern. Zudem muss die Arbeitsagentur Betrieben auch über 2010 hinaus bei Kurzarbeit Sozialbeiträge erstatten und Qualifizierung fördern.

FR: Firmen könnten dann insgesamt vier Jahre Kurzarbeit nutzen. Ist das realistisch?

JH: Ja. Wir haben bereits mit vielen Betrieben Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherung abgeschlossen, die nur funktionieren, wenn Kurzarbeit weiterhin möglich ist. Viele dieser Abkommen laufen über mehrere Jahre, manche bis 2014 oder 2015. Betriebsbedingte Kündigungen sind in diesem Zeitraum ausgeschlossen.

FR: Wie viele solche Job-Verträge gibt es bislang?

JH: In Baden-Württemberg haben wir derzeit mit rund 250 Betrieben Vereinbarungen zur Jobsicherung getroffen, die Kurzarbeit als ein Element beinhalten. In diesen Firmen arbeiten 300000 Beschäftigte.

FR: Auch Arbeitgeber-Vertreter plädieren für eine Verlängerung der Kurzarbeit. Wird die schwarz-gelbe Regierung Ihrem Rat folgen?

JH: Ich sehe dazu eine Chance, wenn die Arbeitgeber sich klar positionieren. Es wäre doch ein Skandal, wenn Deutschland ein Instrument, für das es weltweit beneidet wird, der Kassenlage opfern würde. Die Regierung muss rasch handeln, damit Unternehmen Planungssicherheit haben. Warten kostet Arbeitsplätze.

FR: Und die Tarifparteien, also Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, was können die tun?

JH: Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir in bestimmten Bereichen langfristig nicht mehr auf das Beschäftigungsniveau zurückkommen, das vor der Krise bestand. Das gilt etwa für Autofirmen und ihre Zulieferer, die schon vor der Krise Überkapazitäten hatten. Das gilt meines Erachtens nicht für den Nutzfahrzeug-Sektor und auch nicht für den Großteil des Maschinenbaus. Deswegen denken wir darüber nach, unseren Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung auszubauen.

FR: Was meinen Sie damit?

JH: Zurzeit können Betriebe befristet die Wochenarbeitszeit von 35 auf 30 Stunden senken. Die Einkommen sinken entsprechend. Ich halte es für vorstellbar, dass wir künftig in bestimmten Bereichen auf 28 Stunden gehen, also eine Vier-Tage-Woche einführen, wenn nötig für mehrere Jahre. Das geht aber nur bei einem Teillohnausgleich ...

FR: ...den die Firmen zahlen müssten.

JH: Selbstverständlich. Ich sehe aber auch die Politik in der Verantwortung: Sie könnte die zusätzlichen Kosten für den Lohnausgleich sozial- und abgabenfrei stellen, so wie das jetzt bei der Kurzarbeit der Fall ist.

FR: Haben Sie mit den Arbeitgebern schon darüber gesprochen?

JH: Wir reden ständig mit Südwestmetall. Ob wir die Gespräche zielgerichteter führen und konkrete Vorschläge einbringen, werden wir heute auf unserer Konferenz diskutieren, an der rund 500 Gewerkschafter aus Betrieben und Verwaltungsstellen teilnehmen.

FR: Und worum soll es in der Tarifrunde 2010 gehen?

JH: Wir kündigen einen Entgelt-Tarifvertrag, deshalb wird es im Kern um Entgelt gehen. Natürlich werden wir auch über weitere Themen nachdenken. Aber das entscheiden wir zeitnah.

FR: Woran sollte sich die Lohnerhöhung orientieren?

JH: Ich plädiere hier für eine Verlässlichkeit in der Lohnpolitik. Laut Gemeinschaftsgutachten liegt der Produktivitätszuwachs bei 2,4 Prozent. Hinzu kommt die Preissteigerung von 0,6 Prozent. Damit ist der verteilungsneutrale Spielraum definiert. Allerdings kann sich bis zum Frühjahr noch viel ändern - und wir werden die Situation der Branche mit bewerten müssen. Deswegen wollen wir erst im März unsere endgültige Lohnforderung aufstellen.

FR: Die Arbeitgeber werden argumentieren, dass die Produktivität 2009 zurückgegangen ist.

JH: Ja, der Tarifabschluss 2008 hat die Tarifentgelte strukturell deutlich erhöht. Dennoch sind die Effektiventgelte gesunken, da die Beschäftigten solidarisch die Arbeitszeit zur Beschäftigungssicherung absenkten. Es gab aber auch schon Jahre, in denen die IG Metall Pech gehabt hat und sich die Wirtschaft viel besser entwickelt hat als gedacht.

FR: Kritiker sagen: Wer mit allen Mitteln Jobs sichert, behindert den nötigen Strukturwandel.

JH: Das ist Humbug. Viele der Firmen sind zurzeit massiv von der Krise betroffen, obwohl sie technologische Weltmarktführer sind. Das gilt zum Beispiel für Werkzeug-Maschinenbauer. Diese Unternehmen werden nach der Krise wieder jede Menge Abnehmer finden. Was sie brauchen, sind Hilfen, um die Krise zu überbrücken. Zweitens: Kurzarbeit kostet die Arbeitgeber Geld. Sie nutzen das Instrument, weil sie überzeugt sind, dass sie ihre Beschäftigten nach der Krise wieder voll brauchen. Oft ist zusätzlich soziale Verantwortung ein Motiv. Ist das schlimm? Wäre es besser, wenn sie die Leute auf die Straße kehren würden?

FR: Ist denn schon absehbar, in welche Richtung sich die Metall- und Elektroindustrie entwickelt?

JH: Wenn wir nichts tun, wird der Strukturwandel so aussehen: Die Kreditklemme wird ein Riesenproblem, viele Unternehmen erhalten zu wenig oder zu teure Kredite - und Zukunftsindustrien wie der Maschinenbau brechen uns weg.

FR: Was schlagen Sie vor?

JH: Im Werkzeug-Maschinenbau gibt es etliche Unternehmen, deren Eigenkapitaldecke inzwischen sehr dünn ist. Ich plädiere dafür, dass die Politik diese Firmen nicht hängen lässt. Möglich wäre zum Beispiel Folgendes: Öffentliche Banken wie die Bürgschaftsbank in Baden-Württemberg nehmen am Kapitalmarkt Anleihen auf, die staatlich verbürgt werden. Diese Mittel fließen als stille Beteiligung in mittelständische Unternehmen. Dadurch verbessert sich die Kapitalbasis der Firmen. Dies hat wiederum zur Folge, dass sie Kredite zu erträglichen Konditionen erhalten.

FR: Wer entscheidet, welche Firma Geld bekommt?

JH: Der Staat als stiller Teilhaber sollte mitentscheiden, und die Banken, die dem Unternehmen Kredite gewähren. Auch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sollten einbezogen werden, weil sie die Branchen kennen. Zentrales Kriterium eines Engagements muss natürlich sein, dass die Firma zukunftsfähig ist.

FR: Was hält die Politik von Ihrem Vorschlag?

JH: Wir sind mit der Landesregierung im Gespräch, und sie hat sich offen für diese Idee gezeigt.

FR: Selbst wenn Hilfen fließen, wird sich die Industrie verändern. Wie sieht denn der unumgängliche Strukturwandel aus?

JH: Ich glaube, dass der Trend zu kleineren Motoren und Fahrzeugen in der Autoindustrie nicht aufzuhalten ist. Das ist ja aus ökologischer Sicht auch gut. Der Prozess muss aber sozial abgesichert werden. Das bedeutet beispielsweise bei einem Kolbenhersteller, dass der Umsatz dauerhaft sinkt. Denn er stellt mehr Vierzylinder und weniger Sechszylinder her - und das bedeutet ein Drittel weniger Produktion und weniger Personalbedarf. Wir müssen den unumgänglichen Personalabbau zeitlich strecken, um soziale Härten zu vermeiden.

Zur Person:

Jörg Hofmann ist Chef der IG Metall in Baden-Württemberg.
Der Bezirksleiter gehört zu den mächtigsten Funktionären der Gewerkschaft. Denn in seinem Bezirk sind schon oft in Tarifrunden Pilotabschlüsse erzielt worden.

Letzte Änderung: 23.11.2009