SWR Interview der Woche mit Jörg Hofmann

IG Metall Interview

26.10.2009 Gesprächspartner: Jörg Hofmann, Bezirksleiter IG Metall Baden-Württemberg - 24.10.2009 - Autor: Hans-Jürgen Maurus - Redaktion: SWR Studio Berlin - Birgit Wentzien

Sendung: Samstag, 24.10.2009, 18.30 - 18.40 Uhr, SWR2

SWR: Herr Hofmann, hat es Sie überrascht oder gar geschockt, dass bei der letzten Bundestagswahl zehn Prozent der Gewerkschaftsmitglieder und zehn Prozent der Arbeitslosen für die FDP gestimmt haben?

Jörg Hofmann: Überrascht hat es mich schon, weil, was Arbeitgeber angeht, bei Schwarz-Gelb wohl kaum Attraktives im Wahlprogramm stand. Dieses Versprechen von Steuererleichterungen alleine dürfte für viele vielleicht ein Punkt gewesen, das Kreuz hier zu machen, aber ein unüberlegter Punkt, wie es sich wirklich in den nächsten Monaten herausstellen.

SWR: Mit Steuersenkungen müssten Sie sich doch anfreunden können, wenn es zum Beispiel um höhere Kinderfreibeträge oder die Bekämpfung der kalten Progression geht, also, dass Lohnerhöhungen durch höhere Besteuerung aufgefressen werden. Da könnte man doch sicherlich was machen?!

J. H.: An der Stelle ist sicherlich Korrekturbedarf notwendig. Die Frage ist, wo erfolgt die Gegenfinanzierung. Wenn die Gegenfinanzierung durch einen höheren Spitzensteuersatz
erfolgen würde, wäre das sicherlich sinnvoll. Wenn sie dadurch erfolgt, dass Sozialausgaben gestrichen werden, ist es für die abhängig Beschäftigten eine Rechnung, die mit einem Minus unter dem Strich enden wird.

SWR: Der Bundesverband der Mittelständischen Industrie fordert eine Abschaffung der Erbschaftssteuer. Sie einzutreiben sei zu teuer und Firmen müssen häufig Betriebe verkaufen, um die Summen zu beschaffen. Was bewirkt diese Aussage bei Ihnen?

J. H.: Ziemliche Verärgerung, weil alleine das jetzige Erbschaftssteuergesetz ein weitgehender Kompromiss ist. Dieser versucht Firmenerben, die ernsthaft an der Fortführung des Unternehmens interessiert sind, steuerlich zu entlasten in der Erbschaftssteuer. Und ich denke die Verantwortung muss man einem Firmenerben abverlangen, wenn er die Steuervorteile in Anspruch nehmen wollen. Insoweit sehe ich dort eine Klientel-Politik, die nicht zu akzeptieren ist.

SWR: Was halten Sie von einem Bürgergeld, wie es die FDP vorschlägt?

J. H.: Das ist eine Mogelpackung, die nichts anderes heißt als letztendlich Sozialleistungen zu streichen und den Kreis der Bedürftigen auszuweiten, dies in einer Art und Weise, die ich nicht akzeptieren kann. Und ich meine, die jetzige Konstruktion macht Sinn: Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe. Eine Ausweitung eines allgemeinen Unterstützungsanspruches, wie es das Bürgergeld letztendlich impliziert, ist nicht einzusehen. Der, der bedürftig ist, soll unterstützt werden auch in einer Höhe, die das Überleben von Familien auch menschenwürdig gestalten lässt.

SWR: Erwarten Sie von dieser Koalition Fortschritte beim Mindestlohn? Oder wird man sich mit dem Erreichten zufrieden geben müssen?

J. H.: Natürlich wird es einer der heiß umstrittenen Punkte in der Koalitionsvereinbarung sein. Ich vertraue da dem Wort der Bundeskanzlerin, dass das bisher Erreichte nicht retouniert wird. Und, dass die Gesetze, die jetzt wirken, auch weiter angewandt werden. Und dass dort, wo es notwendig ist, auch weitere Mindestlohnbedingungen festgeschrieben werden und zwar in den verschiedenen Formen, die der Bundesregierung zur Verfügung stehen, also vom Entsendegesetz bis zum Mindestarbeitsbedingungsgesetz.

SWR: Befürchten Sie eine Attacke oder eine Erosion des Kündigungsschutzes?

J. H.: Eine Attacke oder Erosion des Kündigungsschutzes wäre vollkommen kontraproduktiv auf dem Weg hin zu dem Ziel, dass zumindest nach außen auch die beiden Koalitionsparteien jetzt vertreten, nämlich Beschäftigung zu sichern. Und es muss klar sein, dass alle Anstrengungen jetzt Beschäftigung etwa über Kurzarbeit zu sichern, im Kern einen wirksamen Kündigungsschutz zur Voraussetzung haben. Fällt der Kündigungsschutz, fällt damit auch das Ziel der Beschäftigungssicherung den kurzfristigen Optimierungs- und Kostensenkungsstrategien der Unternehmen zum Opfer.

SWR: Was ist denn Ihrer Einschätzung nach die dringlichste Aufgabe für Schwarz/Gelb?

J. H.: Das sind zwei Themen: Den Arbeitsmarkt stabilisieren. Wenn der Arbeitsmarkt wegbricht, was zu befürchten ist, wird der konjunkturelle Aufschwung noch mal einen deutlichen Dämpfer erhalten. Und zum Zweiten: Den Finanzmarkt regulieren und zwar in einer Form, dass möglichst schnell wieder normale Zustände, auch bei der Unternehmensfinanzierung, erreicht werden können. Und damit Firmen überlebensfähig werden, in dem Kredite ausreichend zur Verfügung gestellt werden und nicht letztendlich nochmal die Konjunktur dadurch gedämpft wird, dass die Banken zu "klamm" sind, was die kreditversorgende Wirtschaft angeht.

SWR: Sie rechnen also auch mit mehr Arbeitslosen im kommenden Winter?

J. H.: Ich befürchte, dass die Arbeitslosenrate nach oben geht. Wir haben Instrumente, um das zumindest deutlich einzuschränken und gegen zu steuern. Das verlangt aber ein eindeutiges Bekenntnis einer neuen Regierung zu einer Fortsetzung einer Politik, die dem Thema Beschäftigungssicherung oberste Priorität zuweist.

SWR: Sollte die neue Regierung Merkel noch mal mit einem Konjunkturpaket nachlegen?

J. H.: Ich glaube, es sind in jedem Fall Korrekturen und Erweiterungen notwendig. Wenn Sie die Entwicklung der Kommunalhaushalte im Jahre 2010 ansehen, befürchte ich, dass das beschlossene Konjunkturpaket nicht im vollen Umfang ankommt, weil die Ko-Finanzierung der Kommunen ausfällt. Hier sind Nachbesserungen, Nachsteuerungen notwendig. Und ansonsten denke ich, man darf jetzt nicht nachlassen. Die Konjunktur ist noch viel zu labil, als dass sie einen Rückzug dieser Stützungsmaßnahmen vertragen würde.

SWR: Doch der politische Spielraum ist natürlich angesichts leerer Kassen nur sehr gering.

J. H.: Das ist richtig. Deswegen ist auch kein Platz für Steuererleichterungen wie sie im Wahlkampf propagiert wurden. Im Gegenteil! Wir müssen überlegen, und das ist ein Vorschlag der IG-Metall, wo sind auch Möglichkeiten die starken Schultern noch stärker in die Verantwortung zu bringen, die sicherlich in den Jahren vor der Krise ordentlich profitiert haben. Und die Fragen von hohen Vermögens-und Einkommensteuersätzen für hohe Verdienste bleibt aus unserer Sicht weiter auf der Tagesordnung, um die Krisenlasten gerechter zu teilen und die Opfer der Krise nicht doppelt zu belasten.

SWR: Es kursieren auch diverse Sparvorschläge, zum Beispiel bei den Arbeits-Beschaffungs-Maßnahmen.

J. H.: Ein Rückzug aus der aktiven Arbeitsmarktpolitik wäre jetzt das Falscheste, was gemacht werden kann. Der Arbeitsmarkt wird leider, befürchte ich, die nächsten Monate, auch selbst die nächsten Jahre nur bedingt als Markt funktionieren. Deswegen braucht es stützende Maßnahmen in Richtung zweiter Arbeitsmarkt, in Richtung Qualifizierung. Aktive Arbeitsmarktpolitik sollte, darf nicht zurück gedrängt werden. Hier muss auch die Bundesagentur für Arbeit in ihrem Wirken weiter gestärkt werden.

SWR: Das ist sicher unbestritten. Die Frage ist aber doch, ob jede Arbeits-Beschaffungs-Maßnahme sinnvoll ist?!

J. H.: Das ist sicherlich richtig, dass insbesondere Arbeits-Beschaffungs-Maßnahmen hinterfragt werden müssen, die nicht dazu führen, dass dort auch Qualifikation erworben wird, um im ersten Arbeitsmarkt anschließend dann auch vermittelbar zu sein. Wir müssen deutlich stärker bei der aktiven Arbeitspolitik Maßnahmen bestellen, die die Menschen dazu vorbereiten, auf dem ersten Arbeitsmarkt anschließend auch Arbeit zu finden.

SWR: Halten Sie die Finanzkrise für beendet?

J. H.: Nein, leider nicht. Man hat im Moment den Eindruck, als würde es eine Erleichterung geben, was das Funktionieren des Kapitalmarkts angeht. Wir haben nahezu wieder eine "Hausse" (Anm.d.Redaktion: "ein Steigen der Börsenkurse"), wo sich jeder schon fragt, ist dies eine neue Blase an den Aktienmärkten, weil die Substanz der Realökonomie das sicherlich nicht hergibt. Ich befürchte, wir haben es noch mit der einen oder anderen bösen Überraschung zu tun. Was vor allem darauf hinweist, mit welcher Dringlichkeit wir weiter an einer Neuregulierung der Finanzmärkte arbeiten müssen. Insbesondere in der Frage, die vorher schon angeschnitten wurde: Wie kann man die Kreditversorgung der Wirtschaft sichern?! Insbesondere jetzt, wenn die Krise länger dauert, um Firmen mit Zukunft durch zusteuern, um den Aufschwung dann auch finanzieren zu können.

SWR: Gibt es denn eine Kreditklemme für Teile der Industrie, zum Beispiel im Maschinenbau?

J. H.: Das gibt es faktisch, denn die Industrie hat natürlich jetzt nicht mehr die Ertragslagen wie vor einem Jahr. Die Risiken sind gestiegen und die Banken verhalten sich so, als ob die Krise nicht existiere. Sie nehmen die gleichen Maßstäbe zur Prüfung von Kreditvergaben an, teilweise noch verschärfter wie vor der Krise. Das führt zu einer Kredit-Verknappung oder zu einer deutlichen Verschlechterung der Kreditkonditionen, wo sie Kredite bekommen zu Zinssätzen, die real nicht erwirtschaftet werden können.

SWR: Haben Sie, hat die IG Metall neue Ideen, wie man dieses Thema aufgreifen beziehungsweise lösen könnte?

J. H.: Ja, wir meinen, wir brauchen einen "Bypass" (Anm.d.Red.: eine Umleitung) an dem Bankensystem vorbei. Das Bankensystem wird durch die Notwendigkeit, auch durch "Basel II", die Eigenkapitalquote selber zu erhöhen und Risiko-Portfolios abzubauen, lange Zeit nicht ausreichend belastbar sein für eine Kreditversorgung. Ein "Bypass" könnte etwa sein, dass über staatliche Bürgschaften verbriefte Anleihen aufgebraucht werden und voraufgelegt werden über Anleihen, der sich dann, etwa über stille Beteiligung, an Unternehmen beteiligt. Unternehmen, die jetzt Gefahr laufen, trotz Zukunftsfähigkeit, trotz Technologievorherrschaft, auch weltweit in der Krise an Substanz zu verlieren. Denkbar wäre auch, über einen solchen Fond direkt Kreditvergaben an die Industrie zu ermöglichen, um dann den "Flaschenhals" Banken an der Stelle auszuschalten.

SWR: Und dieser Fond würde sich sein Kapital am freien Kapitalmarkt besorgen?

J. H.: Der freie Kapitalmarkt funktioniert gerade bei Anleihen insbesondere dann, wenn sie mit der Bonität des Staates versehen sind, ausgesprochen gut. Und die Chance besteht dort auch, einen Fond entsprechend mit ausreichendem Kapital zu füllen.

Letzte Änderung: 23.11.2009