"Den Firmen läuft die Zeit davon"

IG Metall Interview

19.10.2009 Interview mit IG Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann und IHK-Hauptgeschäftsführer Andreas Richter - Stuttgarter Nachrichten - 17. Oktober 2009 - Das Gespräch führten Klaus Köster und Petra Otte

Wie IHK-Hauptgeschäftsführer Andreas Richter und IG-Metall-Landeschef Jörg Hofmann der Krise in der Region trotzen wollen.

Die Krise hat die Region heftig erwischt. Wie soll es weitergehen? Darüber sprachen wir mit IHK-Hauptgeschäftsführer Andreas Richter und mit IG-Metall-Landeschef Jörg Hofmann.

STN: Herr Hofmann, Herr Richter, nach der Bundestagswahl werden jetzt die Weichen für die nächsten Jahre gestellt. Was ist für die Region Stuttgart am wichtigsten?

Richter: Entscheidend sind jetzt Änderungen, die die finanzielle Situation der Betriebe verbessern - aller Unternehmen, nicht nur der großen. Viele Firmen sind finanziell ausgeblutet, die nächsten ein, zwei Jahre werden hart. Dass Firmen in so einer Situation sogar auf einen Teil ihrer Kosten Steuern zahlen müssen, weil Gewerbesteuer auch auf Zinsen und Mieten erhoben wird, muss geändert werden. Wichtig ist eine Wachstumspolitik, damit Unternehmen wieder Geld verdienen. Dazu gehört, dass wir die Innovationskraft der Firmen steigern.

Hofmann: Entscheidend ist es, Beschäftigung zu sichern. Der Arbeitsmarkt prägt den weiteren Verlauf der Krise. Wir haben durch die Kurzarbeit weltweit einmalige Erfolge bei der Stabilisierung der Beschäftigung erreicht. Das müssen wir fortsetzen. Außerdem geht es darum, Kreditversorgung und Eigenkapital der Firmen zu stabilisieren, das bei einigen schmilzt wie Butter in der Sonne.

STN: Wie lässt sich das erreichen?

Hofmann: Nicht, indem die Politik sagt: Der Markt wird"s schon richten. Es geht jetzt darum, auch durch befristete Beteiligungen der öffentlichen Hand Zukunftsbranchen durch die Krise zu steuern. Wir müssen uns an Ländern wie China oder Japan orientieren, wo inzwischen die wichtigsten Wettbewerber unserer Maschinenbauer sitzen. Dort werden Betriebe massiv durch den Staat gefördert.

Richter: Mit dieser massiven Förderung können wir nicht mithalten, das macht auch keinen Sinn. Der Staat wird zudem nicht in der Lage sein zu entscheiden, was sinnvollerweise gefördert wird und was nicht. Wichtig für die Wirtschaft wäre, Forschung steuerlich zu fördern. Dies hat sich in vielen Ländern Europas bewährt.

Hofmann: Wenn ein Unternehmen besonders stark von der Krise betroffen ist, bedeutet dies ja nicht, dass es besonders schlechte Zukunftschancen hat. Im Gegenteil: Firmen der Investitionsgüterindustrie, die gut auf den Weltmärkten vertreten waren, sind von deren Einbruch besonders betroffen. Wenn wir allein dem Markt überlassen, wer überlebt, setzen wir wichtige Strukturen aufs Spiel.

STN: Welche Rolle haben jetzt die Banken?

Richter: Viele Firmen werden erleben, dass ihre Bank sie bis zu einem bestimmten Punkt begleiten kann. Aber das wird nicht reichen, vor allem dann nicht, wenn nach der Krise der Kapitalbedarf steigt. Die Firmen müssen daher auch bereit sein, private Eigenkapitalgeber hereinzunehmen.

Hofmann: Diese finden sich aktuell in China und Indien. Die dürften aber wenig Interesse haben, die Wirtschaft im mittleren Neckarraum zu entwickeln. Ihnen wird es eher darum gehen, an Patente zu gelangen. Die Krise ist für unsere Wirtschaft eine offene Flanke. Wenn wir nicht gegensteuern, fließt wertvolles Know-how ab und werden wichtige Industriestrukturen vernichtet. Auch deshalb ist derzeit die öffentliche Hand gefragt. Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch: Das Land sollte einen Fonds auflegen, der sich in Form verbürgter Anleihen Kapital an den Märkten organisiert. Mit den Mitteln könnte die Kreditversorgung oder in Form stiller Beteiligungen die Eigenkapitalbasis der Firmen gestärkt werden.

Richter: Viel besser als öffentliche Hilfen wäre es, wenn der Staat das Geld gleich in den Firmen belassen würde, statt es erst durch Besteuerung von Kosten herauszuholen und es in einem zweiten Schritt wieder zurückzugeben. Um die Liquidität der Firmen zu sichern, muss etwas passieren, und zwar schnell. Mittelfristig führt aber kein Weg an Privatinvestoren vorbei. Die gibt es auch in Deutschland - etwa in Form großer Familienvermögen. Solche Investoren haben auch keine überzogenen Renditeerwartungen, weil die Geldgeber selbst wissen, welche Renditen realistisch sind.

STN: Die Banken als traditionelle Financiers des Mittelstands haben also ausgedient?

Richter: Die Firmen bekommen schon noch Kredit. Nur: Die Anforderungen sind schärfer geworden, die Kosten höher.

Hofmann: Faktisch gibt es somit eine Kreditklemme. Die Zinsen sind so hoch, dass die Firmen diese nicht mehr erwirtschaften können. Die Betriebe brauchen Kredite, doch gleichzeitig erhöhen sie damit ihre Verluste. Das wird sich noch verschärfen, denn nächstes Jahr wird wohl jedes Unternehmen an Bonität verlieren. Kredite werden dann noch knapper. Wenn es wieder aufwärtsgeht, wird der Engpass deutlich spürbar sein. Denn dann müssen die Firmen ihre Expansion finanzieren.

STN: Wie sieht die Wirtschaft nach der Krise aus?

Richter: Es wäre eine Illusion anzunehmen, dass dann alles aussieht wie vorher. Wir hatten schon vor der Krise große Überkapazitäten in der Autoindustrie in Westeuropa, die danach nicht verschwunden sein werden. Da wird eine Marktbereinigung stattfinden müssen, damit diejenigen, die übrig bleiben, sich wieder entwickeln können. Wer bleibt und wer nicht, weiß natürlich niemand, aber die Zukunftsfähigen werden bestehen.

STN: Was ist nötig, um den Industriestandort Region Stuttgart abzusichern?

Richter: Zu den Voraussetzungen für langfristige Investitionsentscheidungen zählt die ausreichende Verfügbarkeit von Fachkräften. Hierfür die Voraussetzungen zu schaffen ist die ureigene Aufgabe einer Landesregierung. Wir investieren zu wenig in die Bildung. Dafür fließt sehr viel Geld in die Kultur. Ich habe zwar nichts dagegen, aber die Kultur orientiert sich an der Vergangenheit, die Bildung an der Zukunft.

STN: Mit Kurzarbeit versuchen Unternehmen, Engpässe zu bewältigen. Wie lange hält diese Brücke noch, bevor Firmen kündigen müssen?

Hofmann: Zunächst muss die Bundesregierung entscheiden, wie es nach 2010 mit der Kurzarbeit weitergeht. Die Mehrzahl der Betriebe will Beschäftigung langfristig halten. In vielen Betrieben haben wir zudem Verträge geschlossen, die die Jobs bis 2011 oder länger sichern. Trotzdem haben wir jetzt schon Jobabbau in beträchtlichem Umfang, etwa über Abfindungen. Außerdem werden sich Kündigungen insolventer Betriebe häufen. Ich sehe allerdings aus heutiger Sicht keine Entlassungswelle auf uns zurollen.

Richter: Auch Sie müssen doch einsehen, dass Kurzarbeit für viele Unternehmen auf Dauer zu teuer wird. Die in Baden-Württemberg und insbesondere in der Metallindustrie zu zahlenden Aufschläge auf das Kurzarbeitergeld dürften zunehmend infrage gestellt werden. Es wird auch Zeit, nach dem Sinn von Kurzarbeit zu fragen: Aus unternehmerischer Sicht ist eine Fortsetzung über zwei Jahre hinaus äußerst kurios, denn wenn auf Dauer keine Aufträge kommen, wird ein Personalabbau unausweichlich. Die Arbeitnehmer haben in der Krise bisher einen großen Beitrag geleistet, die Frage ist nur, ob dieser ausreichen wird. Deshalb bin ich hinsichtlich der Kurzarbeitsregelungen sehr gespannt auf die Signale vom Bund, aber auch von den Gewerkschaften. Schon gar nicht einfach wird für die Gewerkschaften die nächste Tarifrunde, denn einem nackten Mann können sie nicht in die Tasche greifen.

STN: Das klingt nach einem Widerspruch.

Hofmann: Sie springen zu kurz. Wenn die Unternehmen gemeinsam mit den Belegschaften durch die Krise gehen wollen, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Krise nicht nach 24 Monaten vorbei ist. Um auf das Niveau von 2007 zu kommen, brauchen wir mindestens drei bis fünf Jahre. Wer diese Einschätzung teilt, braucht begleitende Maßnahmen für die gesamte Wegstrecke, da kann man nicht auf der Hälfte des Weges sagen, wir ändern jetzt den Kurs.

Richter: Aber wenn das Geld fehlt . . .

Hofmann: Erst mal geht es darum, die Instrumente zur Beschäftigungssicherung zu verlängern. Ich widerspreche entschieden, dass diese nach 24 Monaten aufgebraucht sind. Darüber hinaus denken wir natürlich über weitere Möglichkeiten nach, Jobs zu halten. Man darf auch nicht vergessen, dass wir über Kurzarbeit nicht nur Beschäftigung, sondern auch Kaufkraft sichern, ohne die es den Dienstleistern und Handwerkern heute deutlich schlechter ginge. Der geschützte Arbeitsplatz beim Daimler ist deshalb auch ein Teil Wirtschaftskraft für die Region.

STN: Gibt es bei der IG Metall Bereitschaft für weitere Zugeständnisse bei der Kurzarbeit?

Hofmann: Wir haben vor vier Monaten neue Kurzarbeits-Modelle eingeführt, die die Betriebe entlasten, wenn Beschäftigungssicherung vereinbart ist. Jetzt brauchen wir von der Regierung das Signal, dass sie diesen Kurs über 2010 weiterfährt.

Richter: Ich halte Kurzarbeit nicht für ein Auslaufmodell, es wird nur nicht mehr in dem Maß genutzt werden wie heute. Das ist kein Umkehren, sondern eine Frage des Überlebens. Fast 80 Prozent der Gewerbesteuerzahler in der Region Stuttgart sind kleine und mittelgroße Firmen, ihnen geht schneller die Luft aus als den Großen.

STN: Unter welchen Vorzeichen steht die Tarifrunde 2010? Kann man dem nackten Mann überhaupt in die Tasche greifen?

Hofmann: Wir müssen beide Seiten betrachten: Die Einkommenssituation der Haushalte und die Beschäftigungslage. Momentan sehe ich noch kein Reizthema, ich werde nur immer öfter aufgefordert, Verständnis für Entlassungen zu haben. Dafür habe ich null Verständnis! Wie man Entlassungen verhindert - darüber lohnt es sich zu streiten. Mit der Diskussion über die Tarifrunde wollen wir frühestens Anfang 2010 beginnen.

STN: Welche Perspektiven haben eigentlich die Geringqualifizierten in der Region?

Hofmann: Das ist ein Punkt, der mich nervt. Wir nutzen die jetzige Zeit viel zu wenig, um das Personal weiterzubilden, das wir nach der Krise brauchen. Mit viel Mühe haben wir Qualifizierung in der Kurzarbeit beworben, dennoch stehen wir - einige Firmen ausgenommen - immer noch in den Anfängen.

Richter: Das Qualifizierungsproblem wird am Ende der Markt regeln. Schon bald werden Firmen ihren Nachwuchs wegen sinkender Schulabgängerzahlen nicht mehr decken können. Vor allem kleinere Betriebe werden dann ältere und weniger gut ausgebildete Mitarbeiter wieder entdecken und vor der Herausforderung stehen, diese zu qualifizieren. Ebenfalls werden die Unternehmen nicht drum herumkommen, manchen Lehrlingen künftig eine halbjährliche Vorbereitung vor der Lehre anbieten zu müssen. Und zugleich werden wir in der Region Stuttgart noch viele Jahre einfache Arbeit für einfache Menschen benötigen.

Hofmann: Uns fehlen nicht die Ideen, um die Probleme bei der Ausbildung zu lösen, nur die Mittel. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit der Förderung von Jugendlichen, die als nicht ausbildungsreif eingestuft wurden - teils mit Abschlussquoten von 95 Prozent. Das waren aber alles Pilotprojekte, die wegrationalisiert wurden. Anschließend klagt man über das Ergebnis am Arbeitsmarkt, das ist für mich nicht nachvollziehbar.

STN: Welche Note geben Sie eigentlich Herrn Oettinger - spart das Land an seiner Zukunft?

Richter: Kultusminister Rau hat viele gute Ideen und Konzepte, aber ein Schulsystem vor sich, das vielleicht zu den letzten abgeschotteten Bereichen dieser Gesellschaft zählt. Es gibt keinen Wettbewerb der Ideen, strengt sich ein Lehrer an, wird er dafür nicht finanziell belohnt. Dieses System produziert aus sich heraus einfach zu wenig Qualität. Umso mehr muss man sich fragen, warum die Politik da nicht mal richtig rangeht. Es gibt zwar jede Menge praktische Beispiele für Verbesserungen - diese werden aber nie zu Standards.

Hofmann: Es ist offensichtlich, dass Bildung ein Problemfeld des Landes ist. Zudem gibt es im Prinzip keine sichtbare Industriepolitik in einem Land, für dessen Zukunft die Industrie entscheidend ist. Da kommt die Landesregierung ihrer Aufgabe nicht nach.

Letzte Änderung: 19.10.2009