IG Metall Pressedienst 37/09

IG Metall Pressedienst

14.10.2009 Eine Erfolgsgeschichte für den Arbeits- und Gesundheitsschutz - 20 Jahre Tatort Betrieb der IG Metall Baden-Württemberg

Vor 20 Jahren startete die IG Metall Baden-Württemberg die Aktion "Tatort Betrieb". Angefangen mit dem Titel "Per und Tri raus aus den Betrieben" wurden seither in 9 Tatorten zahlreiche Missstände in den Betrieben thematisiert und Verbesserungen beim Arbeitsschutz und bei den Arbeitsbedingungen durchgesetzt.

"Zu welcher Erfolgsgeschichte sich die Aktion entwickeln würde, war anfangs nicht abzusehen", sagt Monika Lersmacher von der IG Metall-Bezirksleitung und seit 2005 zuständig für die Aktion Tatort Betrieb. Sie zieht eine insgesamt positive Bilanz der Aktion. "Wir hatten immer wieder den Finger in der Wunde und manchmal muss man ein Thema skandalisieren um Verbesserungen möglich zu machen."
Der Ruf der Beschäftigten nach guten und humanen Arbeitsbedingungen werde immer lauter, so Lersmacher weiter. "Das Ausmaß arbeitsbedingter Erkrankungen und ihrer Folgen ist inzwischen besorgniserregend. Viele Beschäftigte sind durch den hohen Arbeits- und Leistungsdruck bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit und sogar darüber hinaus gegangen. Damit muss Schluss sein."

Noch in den neunzehnhundertachtziger Jahren waren Stress und psychische Belastungen am Arbeitsplatz rückläufig. Doch die enormen Produktivitätssteigerungen der Vergangenheit und das ständige Schielen auf schlanke Kostenstrukturen, lassen die stressbedingten Klagen der Beschäftigten seit den 90er des ausgelaufenen Jahrhunderts wieder zunehmen, so Lersmacher.
Aller Erfolge der letzten Jahre zum Trotz drohen unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise Arbeitsbedingungen, Arbeits- und Gesundheitsschutz wieder unter Druck zu kommen. "Wenn überall in den Betrieben von krisenbedingtem Sparzwang geredet wird, werden viele Unternehmen den Rotstift auch bei den Arbeitsbedingungen und beim Gesundheitsschutz ansetzen", befürchtet auch IG Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann. Er sieht vor allem die Frage der Verteilung von Arbeitszeit mehr in den Focus rücken. Viele Arbeitnehmer würden es unter den heutigen Arbeitsbedingungen überhaupt nicht schaffen bis zur gesetzlichen Altersrente im Betrieb zu arbeiten.
"Gerade mal 50 Prozent der Menschen glauben unter den derzeitigen Anforderungen ihre jetzige Tätigkeit bis zum Rentenalter ausüben zu können", zitiert Hofmann aus aktuellen Berechnungen des Internationalen Institutes für Empirische Sozialökonomie (INIFES).
Demnach benennen 40 Prozent der Beschäftigten in Schichtarbeit häufige Gesundheitsbeschwerden wie Schmerzen in Rücken, Nacken oder Schultern. Ein Drittel klagt über Mattigkeit und Erschöpfung. Hofmann: "Das sind deutliche Zeichen von extremer Leistungsverdichtung und Überforderung." Deshalb dürfe die Leistungsschraube nicht noch weiter angezogen werden.

"Wir müssen Arbeitsbedingungen anders gestalten und insbesondere die Systeme der Arbeitszeit verändern", fordert der Gewerkschafter.
"Es geht um neue Arbeitszeitmodelle, die einerseits flexible Antworten auf persönliche Belange geben und andererseits die Einkommenssituation der Menschen berücksichtigen", sagte Hofmann. "Arbeitszeitpolitik muss neben dem Ziel der Beschäftigungssicherung auch mit sinnvollen Lebensmodellen verbunden werden. Vorstellbar sind etwa Elternzeit, Qualifizierung oder schrittweise Ausstieg aus dem Berufsleben."

Tatort Betrieb - ein Rückblick

Vor gut 20 Jahren wurde aus den Betrieben im IG Metall Bezirk Baden-Württemberg ein neuer Ansatz für den Arbeits- und Gesundheitsschutz eingefordert. Ein besonderes Problem erkannten viele Beschäftigte damals in der Flut gefährlicher Arbeitsstoffe, in der man "zu ertrinken" drohte. Etwa zeitgleich wurde 1986 durch das organische Lösemittel Dichlormethan eine Bodenverseuchung bei einer Waiblinger Firma verursacht. Die IG Metall Bezirksleitung Baden-Württemberg griff das Problem auf und die erste Aktion Tatort Betrieb wurde konzipiert. 1988 startete diese neue Aktionsform unter dem Motto "Per und Tri - raus aus den Betrieben."

Man entschied sich, gezielt nur bestimmte Einzelstoffe und nicht die ganze Palette der betrieblichen Gefahrstoffe zu thematisieren. Die anfänglichen Befürchtungen einer möglichen Einengung oder Begrenzung konnten in der Folge und mit weiteren Tatort-Aktionen ausgeräumt werden.

Warum überhaupt die Aktion Tatort Betrieb

Die IG Metall Baden-Württemberg hat mit der Aktion Tatort Betrieb auch einen neuen Politikansatz gestartet: Im Mittelpunkt stehen seither die Gesundheitsbelastungen der Arbeitnehmer im Betrieb bzw. die durch die Betriebe ausgelösten Belastungen für die Menschen. Mit diesem neuen Weg wurde der Umwelt- mit dem Arbeitsschutz verbunden. Inzwischen sind die beiden Themen noch um den Aspekt eines ganzheitlichen Gesundheitsschutzes erweitert worden. Wir sprechen heute wie selbstverständlich von diesem ganzheitlichen Arbeits- und Gesundheitsschutz. Und wir können feststellen, dass die Aktion Tatort Betrieb einen nicht unerheblichen Anteil daran hat, dass sich diese Sichtweise im betrieblichen Gesundheitsschutz weitgehend durchgesetzt hat.
Bei der ersten Aktion Tatort Betrieb "Per und Tri" konnte bereits nach einem Jahr im Oktober 1989 registriert werden, dass in 350 Betrieben der Metall- und Elektroindustrie kein Per und Tri mehr verwendet wurde. In weiteren 260 Betrieben waren die Stoffe noch im Einsatz, aber in einem Drittel dieser Betriebe hatten schon Gespräche über Ersatzstoffe stattgefunden.
Von Anfang an war damals geplant, die Aktion Tatort Betrieb fortzusetzen. Einerseits war der Bezirk Baden-Württemberg von dem neuen Politikansatz überzeugt und andererseits wurde dies durch die hohe Akzeptanz der betrieblichen Kolleginnen und Kollegen bestätigt. Nach intensiven Diskussionen im bezirklichen Arbeitskreis fiel die Entscheidung für die zweite Aktion Tatort Betrieb auf das Thema Kühlschmierstoffe: "Giftcocktail Kühlschmierstoffe".

Bei der Auftaktveranstaltung am 28. November 1988 sagte der damalige Bezirksleiter Walter Riester: "Anstatt bei dieser Aktion Tatort Betrieb aktiv mitzuhelfen, beschweren sich einige Unternehmer über den Namen der Aktion. Das klänge so, als würden in den Betrieben Straftaten begangen. Kolleginnen und Kollegen, das klingt nicht nur so - das ist leider auch so!"
Und das ist heute noch immer so: Der Arbeitgeberverband Südwestmetall findet, dass der Name Tatort Betrieb die Vorgänge in den Unternehmen skandalisiert. Aus der Sicht der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaft werden viele Arbeitsbedingungen als Skandal empfunden. Mit den Tatort-Betrieb-Aktionen wird daher auch weiter der Finger in die Wunde gelegt, wenn Beschäftigte schlechten bzw. ungesunden Arbeitsbedingungen ausgesetzt werden oder Arbeitgeber systematisch gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen, etwa gegen die Verpflichtung zur Durchführung ganzheitlicher Gefährdungsbeurteilungen.

Neun Tatort Betrieb- Aktionen

Im Laufe der Jahre wurden weitere Aktionen im Rahmen des Tatort Betriebs gestartet. Aktuell führen wir die 9. Aktion Tatort Betrieb durch. Von den damals eher klassischen Themen des Arbeitsschutzes ausgehend, haben sich die Aktionen inzwischen weiterentwickelt. Eine der erfolgreichsten Aktionen, neben den Aktionen gegen gefährliche Arbeitsstoffe, war der Tatort Betrieb "Stress und psychische Belastungen - Terror für die Seele", der im weiteren Bericht noch ausführlicher beschrieben wird.

Die aktuelle Aktion zum alternsgerechten Arbeiten will die ganzheitlichen Ansätze für humane Arbeitsbedingungen miteinander verknüpfen. Seit den 70er Jahren haben die Gewerkschaften die Humanisierung der Arbeitswelt vorangetrieben. Während es durch angereicherte Tätigkeiten, Taktentkopplung und Gruppenarbeit (in der anfangs noch gesundheitsgerechten Variante) in den 80er Jahren bis Anfang der 90er zunächst deutliche Fortschritte auf diesem Gebiet gab, sind die Entwicklungen seit einigen Jahren wieder rückläufig. Die Beschäftigten in den Betrieben und Verwaltungen erleben eine zunehmende Leistungsverdichtung und sind einem immer stärker werdenden Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Dies gilt auch in der aktuellen Krisensituation. Es ist zu vermuten, dass nach der Krise in den Unternehmen in kürzerer Arbeitszeit und mit weniger Personal mehr produziert werden soll. Dem muss gegengesteuert werden, indem humane Arbeitsbedingungen eingefordert und durchgesetzt werden.

Überblick Tatort Betrieb
Per und Tri raus aus den Betrieben (1988)
Giftcocktail Kühlschmierstoffe (1989)
Tückisches Gift - Lösemittel (1992-1993)
Arbeitsplatzgrenzwerte (1994)
Lärm am Arbeitsplatz (1995)
Arbeitsschutz an Bildschirmgeräten und beim Heben und Tragen (1997)
Kühlschmierstoffe - hautnah (1999)
Stress und psychische Belastungen - Terror für die Seele (2001 - 2005)
Erst ausgepresst - dann abserviert! - Humane Arbeit für Jung und Alt! (seit 2005)

Letzte Änderung: 15.10.2009