"Das Theater muss ein Ende haben"

IG Metall Interview

06.07.2009 IG-Metall-Bezirksleiter zum Porschestreit - Interview Stuttgarter Zeitung - 6. Juli 2009 - von Matthias Schiermeyer

Heftige Angriffe richtet die Gewerkschaft gegen die Eigentümerfamilien und Vorstände von Porsche. Der IG-Metall-Bezirkschef Jörg Hofmann will die Arbeitnehmervertreter von Porsche und VW nun auf eine gemeinsame Linie einschwören.

Glauben Sie den Wirtschaftsforschern, die schon eine Trendwende am Horizont sehen?

Diese Wirtschaftsforscher liefern im Prinzip nichts anderes als Begleitmusik zur Bundestagswahl. Es sind oft die Institute, die Steuererleichterungen jetzt für dringend notwendig halten.

Daimler will die Kurzarbeit zurück- und die Produktion hochfahren. Ist das kein Signal einer Wende zum Besseren?

Zumindest im Premiumsegment des Fahrzeugbaus dürften wir die Bodenlinie erreicht haben. Insoweit profitiert Daimler von seiner Modellpolitik. Ich befürchte aber, dass uns im Klein- und Mittelwagensegment die Krise noch bevorsteht. Ende des Jahres werden wir einen kräftigen Einbruch erleben - einerseits wegen des Auslaufens der Abwrackprämie, andererseits mit der absehbaren Zunahme von Arbeitslosigkeit, was die Konsumlaune dämpft.

Wird die Wirkung der Kurzarbeit im Herbst schon ausgereizt sein, so dass es dann zu Massenentlassungen kommt?

Wir sind jetzt in der Regel allenfalls im sechsten Monat der Kurzarbeit. Die gesetzliche Verlängerung auf 24 Monate macht dieses Instrument noch über einen längeren Zeitraum belastbar. Nun gibt es in der öffentlichen Darstellung die weit verbreitete Einigkeit, vor der Bundestagswahl auf Entlassungen zu verzichten. Wenn 2010 erkennbar wieder ein Jahr wird, das noch nicht klar den Weg aus der Krise weist, fürchte ich, dass nach der Wahl politische Rücksichtnahmen fallen gelassen werden und dass die Arbeitgeber das Thema Entlassungen deutlicher auf die Tagesordnung setzen. Gesamtmetall spielt da ein unklares Spiel. Ich hätte erwartet, dass der Verband eindeutiger Stellung nimmt und betont, dass Kurzarbeit lange Zeit hilft, Beschäftigung zu halten. Doch zeigen die Stellungnahmen bereits einen Meinungswechsel an, der dann im Herbst für alle sichtbar wird.

Inwiefern?

Dann werden wir es zunächst mal mit mehr Drohungen von Entlassungen zu tun haben und mit einem verstärkten Druck auf die Arbeitnehmer. Deswegen müssen wir auch für die Beschäftigten einen wirksameren Schutzschirm einfordern.

Der Maschinenbauverband deutet an, dass 60.000 Arbeitsplätze wegfallen könnten.

Im Maschinenbau sind wir zwar immer noch im freien Fall. Doch wir haben in dem Bereich eine hohe Arbeitszeitflexibilität und stehen oft erst am Beginn der Kurzarbeit. Dort ist noch viel Luft drin, so dass ich es nicht verstehe, wenn dort bereits mit Entlassungen gedroht wird. Zumal die Investitionsgüterindustrie immer starke konjukturelle Ausschläge aufweist.

Wie viel staatliche Unterstützung verdienen Industrieunternehmen in dieser Krise?

Sie würden es zunächst verdienen, dass die Kreditoptionen, die der Bund bereitgestellt hat, bei den Unternehmen ankommen - was leider nicht immer der Fall ist. Die Risikoscheue der Banken steht noch vor einer sinnvollen Kreditversorgung. Das wäre der erste Schritt, bevor man über eine Direktintervention des Bundes spricht.

Wie existenzgefährdend ist die Zurückhaltung der Banken?

Das Problem verschärft sich. Der Bedarf an Liquidität wächst mit jedem Monat der Krise - gerade im mittelständischen Bereich. Doch die Banken versuchen immer mehr, Einfluss zu nehmen auf die Geschäftspolitik, und dringen auf eine rasche Reduzierung der Personalkosten. Dabei wäre es geboten, auf einen längeren Zeitraum zu schauen, um ein Unternehmen durch die anhaltende Krise zu steuern.

Wie viel staatliche Unterstützung verdient Porsche - sind Sie froh, dass Porsche keinen KfW-Kredit mehr beantragt?

In der Sache hätte es sicherlich Begründungen für den Kredit gegeben, wenn man die Kriterien des Rettungsschirms für Unternehmen zugrunde legt. Politisch hingegen ließe sich ein Kredit nicht darstellen. Bei Porsche sehe ich an allererster Stelle die Eigentümerfamilien in der Verantwortung, über einen substanziellen Eigenbeitrag den Schaden zu beheben, den sie angerichtet haben. Das ist auch das Erste, was die Öffentlichkeit jetzt erwartet.

Warum hat IG-Metall-Chef Huber einen Schwenk vollzogen, als er sich nur noch gegen Staatskredite für spekulative Geschäfte von Porsche, nicht aber zur Aufrechterhaltung des Geschäfts ausgesprochen hat?

Das war die verkürzte Wiedergabe einer Interview-Äußerung. Sie hat zu Irritationen in der Porsche-Belegschaft geführt. Die gleiche Aussage treffen wir aber in allen vergleichbaren Fällen. Insofern war das kein Schwenk, sondern eine Bestätigung.

Es war somit keine Reaktion auf die Warnung von Porsche-Chef Wiedeking, Huber für den möglicherweise entstandenen wirtschaftlichen Schaden haftbar zu machen?

Gewiss nicht. Der Brief an Berthold Huber war eine Unverschämtheit. Ein Elefant im Porzellanladen verhält sich sensibler als Wendelin Wiedeking.

Huber hat die waghalsigen Manöver kritisiert, die nun Kredite für den Geschäftsbetrieb nötig machten. Wann ist die Gewerkschaft so weit, die Urheber des Desasters zum Rückzug aufzufordern?

Verantwortlich sind die Familien, die letztlich auch über die Vorstände entscheiden. Wir erwarten, dass jetzt endlich eine Lösung in der Sache gefunden wird und diese Personality-Show mit Intrigen und Fehden ein Ende findet. Daran sollten wir uns nicht beteiligen. Wir würden uns nach all der Personalisierung des Konfliktes keinen Gefallen tun, von uns noch eine Schippe draufzulegen.

Trägt die Kapitalseite ihren Machtkampf auf dem Rücken der Belegschaften aus?

Im Kern ja. Aus Arbeitnehmersicht muss man daher ein paar Eckpunkte formulieren, hinter die sich alle Beschäftigten von Porsche und VW stellen können. Ich hoffe, dass wir diese gemeinsamen Positionen stärker in die Debatte bringen können - gerade gegenüber den Eigentümerfamilien und Vorständen.

Wie tief steckt Porsche in Schwierigkeiten?

Da spekulieren wir alle gerade, weil aus meiner Sicht kaum mehr auseinanderzuhalten ist, wo die substanziellen Probleme liegen und was an Blendgranaten geworfen wird. Da will auch die Öffentlichkeit endlich mal eine Klärung. Das Thema geht einem allmählich schlicht auf den Wecker.

Wäre es gut für Porsche, das Öl-Emirat Katar ins Unternehmen zu holen, oder wären die drei anderen Interessenten besser?

Wir haben eine langjährige Erfahrung mit arabischen Investoren bei Daimler. Da kann ich nur sagen: Es sind gute Investoren, was die Nachhaltigkeit des Investments angeht.

Wie gefährdet sind die Arbeitsplätze?

Im operativen Geschäft sind beide Unternehmen sehr gut aufgestellt, in den Finanzgeschäften aber stark abhängig vom Kapitalmarkt. Insoweit besteht heute keine reale Gefahr für die Arbeitsplätze, aber eine Bedrohung vor allem aus dem Blickwinkel, dass das Automobilgeschäft noch längst nicht aus der Krise ist. Und diese Situation verlangt nach stabiler Liquidität und verträgt keine Spekulation.

Welcher Art Bedrohung?

Ich stelle fest, dass wir in den Belegschaften von VW und Porsche eine große Unsicherheit über die Zukunft von mehr als 100 000 Arbeitsplätzen haben. Hier tragen die Kapitaleigner die Hauptverantwortung. Sie haben den Kurs bei Porsche immer voll und einvernehmlich mitgetragen und sich erst in die Wolle bekommen, als der aberwitzige Plan der Beherrschung von Volkswagen nicht aufging. Ich erinnere mich mit Schrecken an den Anfang der neunziger Jahre, als die Familie aufgrund von internen Streitigkeiten schon einmal Porsche fast in den Abgrund gefahren hat. Damals hat Wiedeking den Karren aus dem Dreck gezogen und mit Hilfe der Belegschaft wieder auf die Erfolgsspur gebracht. Heute haben wir eine noch größere Dimension. Umso wichtiger scheinen gerade in diesem Kontext das Volkswagen-Gesetz und das weitere Mitbestimmungsrecht, um zumindest dort einem solchen Treiben einen gewissen Einhalt zu bieten.

Warum hat sich die IG-Metall-Führung lange Zeit öffentlich so zurückgehalten?

Es ist gut, dass wir uns zurückhalten und nicht parteilich einmischen. Die IG Metall darf sich nicht vor den Karren einer Kapitalfraktion spannen lassen.

Und die Betriebsräte der IG Metall?

Da hätte ich manche Zurückhaltung auch besser gefunden. Es ist notwendig, dass wir gemeinsam die Arbeitnehmerinteressen klar formulieren, was die Zusagen an Beschäftigung und Standorte angeht, was den Erhalt des Volkswagengesetzes angeht, was den Eigenbeitrag der Familien angeht und was das Ende von Machtträumereien eines Beherrschungsvertrags gegenüber Volkswagen angeht. Und das beinhaltet natürlich die Eigenständigkeit von Volkswagen und Porsche. Das sind Punkte, an denen man sich sehr gut sammeln kann im Rahmen eines abgestimmten Gesamtkonzeptes. Das müssen wir einfordern. Die Spielchen müssen endlich ein Ende haben. Das Theater währt seit einem halben Jahr und bringt jede Woche neue Schlagzeilen, ohne eine Lösung sichtbar zu machen.

Welche Mittel haben Sie, das Gesamtkonzept auf den Weg zu bringen?

Das stärkste Mittel ist, dass wir dies als IG Metall mit den Betriebsräten auch tun. Ich hoffe, alle haben das erkannt und handeln in nächster Zeit entsprechend.

Sind sich alle Arbeitnehmervertreter bei IG Metall, Porsche und VW endlich einig?

Ich bin mir sehr sicher, dass in den genannten Grundfragen eine Einigkeit besteht. Das wäre ein deutliches Signal an die Vorstände und die Kapitaleigner. Deren Versuche, die Arbeitnehmer gegeneinander auszuspielen, wird es immer geben. Umso wichtiger ist es, dass wir uns da einheitlich positionieren.

Wird die Mitbestimmungsvereinbarung auch auf den Prüfstand gestellt?

Wir wissen ja nicht, welche unternehmensrechtliche Struktur am Ende steht. Ob die Mitbestimmungsvereinbarung aber Bestand hat, bezweifle ich. Einige Elemente werden sicher wichtig bleiben, aber in welcher Form genau sie bleiben, ist im Moment nicht einschätzbar.

Haben Sie volles Vertrauen in Martin Winterkorn, den VW-Chef aus Schwaben, dass er sich für beide Belegschaften einsetzt?

Ich kenne ihn aus seiner Zeit bei Audi und weiß, dass er dort sehr gute Arbeit geleistet hat. Insoweit habe ich keinerlei fachliche oder persönliche Vorbehalte gegen ihn.

Letzte Änderung: 14.07.2009