"Wo Banken mitreden, wächst der Druck"

IG Metall Interview

14.05.2009 IG-Metall-Landeschef Hofmann warnt Firmenchefs vor Kündigungen - Kritik an Daimler: Rambo-Umgang mit Beschäftigten - Stuttgarter Nachrichten - 13. Mai 2009 - Von Petra Otte

Mit Trillerpfeifen und Transparenten demonstrieren diese Woche Zehntausende Metaller gegen drohende Entlassungen. Heute spricht der IG-Metall-Landeschef Jörg Hofmann vor Daimler-Mitarbeitern in Sindelfingen. Die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Krise teilt er nicht, vor allem Azubis haben schlechte Karten.

Herr Hofmann, die Wirtschaftskrise dauert seit Monaten, warum ruft die Gewerkschaft diese Woche zu Protesten auf?

Mit Kurzarbeit, Arbeitzeitkonten und Beschäftigungssicherungsverträgen ist es gelungen, die Krise bis heute größtenteils ohne Entlassungen zu überstehen. Diese Mittel tragen auch weiterhin, allerdings denkt jeder zehnte Metall- und Elektrobetrieb in Baden-Württemberg mittlerweile an Kündigungen oder hat diese bereits ausgesprochen. Mit der Protestwoche appellieren wir an Firmenleitungen, Banken und Anteilseigner, gemeinsam Entlassungen zu verhindern. Zusätzlich brauchen wir Unterstützung von der Politik: Die Verländerung der Kurzarbeit auf 24 Monate eröffnet weitere Chancen, zudem muss nach Möglichkeiten gesucht werden, Lehrlinge und Berufsanfänger im Betrieb zu halten. Da der Arbeitsmarkt derzeit wirklich keinerlei Perspektive bietet, könnte auch eine zeitlich befristete Verlängerung des Bezugs von Arbeitslosengeld I weiterhelfen.

Was macht Sie so sicher, dass Zehntausende Beschäftigte auf die Straße gehen, statt in aller Stille dafür dankbar zu sein, dass sie selbst noch einen Job haben?

Dass so viele Leute ihren Job noch haben, ist ein Verdienst, den die Tarifparteien erkämpft haben. Jeder, der ein bisschen nach vorne blickt, wird erkennen, dass wir alles tun müssen, um Entlassungen zu vermeiden. Sobald eine Firma damit in großem Stil beginnt, sinkt auch bei anderen die Hemmschwelle, Menschen auf die Straße zu setzen. In der Folge bricht der private Konsum ein. Je länger es uns gelingt, dieses Szenario hinauszuzögern, umso länger kann sich jeder Einzelne an seinem Job freuen.

Wie lange noch lassen sich Kündigungen mit Kurzabeit verhindern? Irgendwann wird das doch jedem Unternehmer zu teuer.

Deshalb sind die angekündigten Entlassungen für uns Warnsignal genug. In jüngster Zeit stellen wir fest, dass Banken zunehmend offensiv auftreten und Kündigungen fordern. Von der Finanzwirtschaft geht derzeit die größte Gefahr aus: Selbst das beste Unternehmen kann nichts tun, wenn es gar keine oder nur noch Kredite mit astronomischen Risikozuschlägen bekommt. Es ist nicht einsehbar, dass die deutschen Banken den 480 Milliarden schweren Schutzschirm nur dazu nutzen, ihre Bilanzen zu sanieren, und gleichzeitig den Firmen dringend benötigtes Geld vorenthalten. Das gilt auch für manchen Anteilseigner: Keiner kann heute das gleiche Renditeziel verfolgen wie vor einem Jahr, in der Vergangenheit haben viele an den Betrieben wahrlich genug verdient.

Banker werden sich aber kaum von ein paar Stunden Protest zu einer riskanteren Geschäftspolitik verleiten lassen.

Banken sind hochsensibel, wenn man sie namentlich benennt und öffentlich angeht. Darüber hinaus ist freilich die Politik gefordert: Statt sich wochenlang über Personalien zu streiten, sollte sich die Landesregierung überlegen, inwieweit die LBBW die Wirtschaft noch stärker unterstützen könnte.

Wie groß schätzen Sie den Anteil derjenigen Firmen, die die allgemeine Auftragsflaute ausnutzen, um schon lange geplante Kostensenkungen durchzusetzen?

Mitnahmeeffekte gibt es immer wieder, das lässt sich nicht abstreiten. Jedem sollte allerdings klar sein, dass die Krise irgendwann ein Ende hat und zuvor entlassenes Personal dann womöglich wieder fehlt. Verglichen mit der letzten großen Flaute 1993 und 1994 haben die Arbeitgeber aber dazugelernt. Damals wurden die Menschen deutlich früher auf die Straße gesetzt. Wir haben bis heute gebraucht, um den angeschlagenen Ruf der Metall- und Elektrobranche als Arbeitgeber wieder zu reparieren. Eine erneute Entlassungswelle wäre angesichts des drohenden Fachkräftemangels fatal.

Einige Wirtschaftswissenschaftler und Arbeitgeber sehen ein Ende der Talfahrt. Teilen Sie diese Ansicht?

Darüber, ob der Bodensatz nunmehr erreicht ist, kann man nur spekulieren. Ich hoffe das natürlich auch. Wir sind aber weit davon entfernt, in zwei bis drei Monaten auf das Niveau vom Frühjahr 2008 zurückzukehren. Um auf den Stand vor der Krise zu kommen, brauchen wir in der Automobil- und in der Investitionsgüterindustrie sicher bis Ende 2010. Wenn nicht noch länger.

Das Sparpaket bei Daimler verlangt den Beschäftigten herbe Zugeständnisse ab, zuvor hat der Vorstand mit Entlassungen gedroht. Ist das der neue Stil in der Krise?

Der Stil bei Daimler ist exklusiv, einen solchen Rambo-Umgang mit den Beschäftigten stellen wir nicht flächendeckend fest. Es ist vollkommen unangemessen, einer Belegschaft mit Entlassungen zu drohen, die seit Jahren massive Beiträge zur Beschäftigunssicherung leistet. Meine Hochachtung gilt dem Betriebsrat, der trotzdem versucht hat, eine vernünftige Lösung zu finden.

Das heißt, bei anderen Unternehmen geht es weniger ruppig zu?

Heidelberger Druck droht auch mit Kündigungen. Überall dort, wo Banken und Anteilseigner darauf drängen, wächst der Druck auf die Belegschaften.

Wie ist es um die Übernahmechancen von Auszubildenden bestellt?

Dieses Jahr wird die Ausbildungssituation einigermaßen stabil bleiben. Die Stornierung von bereits gemeldeten Lehrstellen nimmt aber deutlich zu. Wir müssen damit rechnen, dass wir nächstes Jahr trotz steigender Schulabgängerzahlen weniger Ausbildungsplätze haben werden. Das zwingt uns zu überlegen, wie wir möglichst viele Plätze halten können. Es ist doch so: Wer 2010 Lehrstellen reduziert, denkt nur an Kosten und nicht an die Zeit nach 2013, wenn es weniger Schulabgänger geben wird.

Im April hat sich die IG Metall mit den Arbeitgebern auf zwei neue Kurzarbeit-Modelle geeinigt. Wie kommen die bei den Firmen an?

Momentan läuft noch die Information darüber, ich erwarte aber einen ziemlichen Ansturm. Mit den Alternativen haben wir ein absolutes Novum geschaffen: Während der Laufzeit der Kurzarbeit sind Kündigungen ausgeschlossen. Und ein sicherer Arbeitsplatz ist derzeit extrem viel wert.

Der Tarifvertrag zur Kurzarbeit läuft bis Ende 2010. Können Sie sich vorstellen, dass Elemente daraus länger Bestand haben werden?

Darüber reden wir, wenn es so weit ist. Aus heutiger Sicht ist das Kaffeesatzleserei. Wenn sich Regelungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber als sinnvoll erweisen, kann das aber durchaus sein.

Apropos Zukunft: Die nächsten Tarifverhandlungen führen Sie nicht mehr mit Jan Stefan Roell, sondern mit seinem Nachfolger Rainer Dulger. Wie stehen Sie zu dem Wechsel?

In diesem Job ist Flexibilität gefragt. Die werde ich auch bei meinem dritten Verhandlungspartner Rainer Dulger zeigen, der auch bisher schon in die Verhandlungen involviert war. Der Verband wird die Personalentscheidung sicher gut abgewogen haben, ich nehme sie wie sie kommt.

Letzte Änderung: 03.07.2009