"Der Bär ist noch nicht erlegt"

IG Metall Aus der Presse

06.11.2008 IG Metall Bezirksleiter Jörg Hofmann beim Redaktionsbesuch bei den Stuttgarter Nachrichten - 6. November 2008 - Das Gespräch führte Petra Otte

Der IG-Metall-Landeschef Jörg Hofmann kann in Kürze einen Pilotabschluss machen - oder Hunderttausende in den Arbeitskampf schicken

Hohe Mauern schirmen das Verhandlungslokal vor neugierigen Blicken ab. Tagelang dringt keine Nachricht nach außen. Dann, endlich, steigt weißer Rauch auf - das Zeichen, dass sich die Tarifpartner geeinigt haben! Eine Alternative zu dem üblichen, medienwirksamen Geschacher um mehr Lohnprozente?

Jörg Hofmann lacht, als er dieses Szenario skizziert. Der Verhandlungsführer für die IG Metall im Südwesten hat bereits zwei Pilotabschlüsse für die deutsche Metall- und Elektrobranche erstritten, beide Male spotteten die Kontrahenten im Vorfeld ausgiebig über die Vorstellungen ihres Gegenübers, und eine halbe Million Metaller zog fahnenschwenkend und pfeifend durch die Straßen. Alternativen dazu stehe er durchaus offen gegenüber, sagt Hofmann beim Redaktionsbesuch. Das Prozedere der Papstwahl hält er jedoch für ungeeignet. "Lohnfindung ist ein Prozess, der die Auseinandersetzung verschiedener Akteure braucht, anders geht es nicht", sagt der Gewerkschafter. Außerdem: "Solange nicht möglichst viele Arbeitgeber möglicht viele Metaller auf dem Hof sehen, bewegen sie sich nicht." Dafür sei die Bilanz der Verhandlungstaktik gar nicht mal schlecht, meint Hofmann. "Wenn man schaut, wie lange die Politik beim Thema Kfz-Steuer gebraucht hat, sind wir eigentlich ganz effizient."

Auch die aktuelle Runde folgt den üblichen Ritualen. Kaum hatte die IG Metall ihre Forderung nach acht Prozent mehr Lohn kundgetan, warf Arbeitgeberpräsident Martin Kannegiesser der Gewerkschaft vor, sie habe "nicht alle Tassen im Schrank". Hofmann wiederum zieht mit dem Zitat das Arbeitgeber-Angebot von 2,1 Prozent plus Einmalzahlung ins Lächerliche: "Kanne voll, Tasse leer, acht Prozent, die müssen her", schleuderte er am Dienstag 9000 Daimler-Mitarbeitern entgegen. Wer mit dem Diplom-Ökonomen am Tisch sitzt, mag das kaum glauben. Hofmann wählt die Worte mit Bedacht, ringt um jeden Satz. Keine Spur von den Parolen, die die Metaller-Seele zum Kochen bringen. Vielmehr der Versuch, die Forderung auch in Krisenzeiten mit Argumenten möglichst vielen Menschen verständlich zu machen.

Üblicherweise wirft der Gewerkschafter den Managern Maßlosigkeit vor, dieser Tage muss sich Hofmann dieser Kritik selbst stellen. Zu Unrecht, findet er. Zwar bestreitet der Bezirksleiter nicht, dass die Auslastung der Metall- und Elektrobetriebe auch im Vorzeigeland Südwesten "deutlich zurückgeht. 60 Prozent der Betriebe geben aber an, dass sie nach wie vor gut ausgelastet sind", sagt Hofmann. Manch einer sogar so gut, "dass sie sich bis 2013 anstellen müssen, um auf die Kundenliste zu kommen". Und sogar Daimler verdiene trotz zweimaliger Gewinnwarnung dieses Jahr noch sechs Mrd. Euro. Acht Prozent mehr für die Arbeitnehmer hält Hofmann für angemessen: Zwischen vier und fünf Prozent machen allein der gesamtwirtschaftliche Produktivitätszuwachs sowie die Teuerungsrate aus, mehr als zwei Prozent sind der guten Situation der Metall- und Elektroindustrie und satten Gewinnen der Vergangenheit geschuldet.

Solche Zahlen sind Balsam für die Metaller-Seele, viele fühlen sich derzeit "doppelt gebeutelt", sagt Hofmann. Einerseits soll die Arbeitnehmerschaft mit ihren Steuern für Sünden von Managern bluten, "die sich zuvor eine goldene Nase verdient haben". Andererseits predigten eben diese Manager Lohnzurückhaltung und wollen die Beschäftigten nicht mal an der positiven Entwicklung ihres Unternehmens teilhaben lassen. "Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, daran elektrisieren sich die Leute." Nicht nur das Portemonnaie des Einzelnen, auch Staat und Wirtschaft profitierten von einer satten Lohnerhöhung: Mit jedem Euro mehr auf den Gehaltszetteln steigen auch die Beiträge für die Sozial- und Staatskassen, zudem kurbelten die Menschen mit Einkäufen die Wirtschaft an. "Viele können nicht mehr sparen und müssen einfach konsumieren", ist der Gewerkschafter überzeugt. Dass die Arbeitgeber das anders sehen, versteht sich in Tarifauseinandersetzungen von selbst. Sie werfen der Gewerkschaft vor, mit ihrer Forderung Zehntausende Arbeitsplätze zu gefährden. Hofmann dreht die Anklage um, den "Arbeitsplatzvernichter" lässt er sich nicht anhängen. Schließlich habe die Gewerkschaft in guten Konjunkturzeiten darauf gedrängt, dass kräftig eingestellt wird. "Die Arbeitgeber hätten es am liebsten gesehen, wenn die Beschäftigten noch mehr Überstunden machen und noch mehr Leiharbeiter eingestellt." Obwohl derzeit branchenweit Aufträge wegbrechen, erwartet Hofmann keinen Arbeitsplatzabbau. Allerdings werde es in größerem Umfang Kurzarbeit geben und viele Firmen würden Auftragsflauten über Arbeitszeitkonten und Beschäftigungssicherungsverträge abfedern, die eine Zeit lang ein Abweichen von den Tarifregeln erlauben.

Aber spielen denn die Produktionspausen bei Daimler oder die angekündigten Entlassungen bei Heidelberger Druck keine Rolle bei den Verhandlungen?, will die Redaktion wissen. Im Falle eines Arbeitskampfs fällt Hofmann die Antwort noch verhältnismäßig leicht, dort werden "andere Namen an der ersten Stelle stehen". Schwieriger wird es bei der Kompromisssuche am Verhandlungstisch, eine Lösung "muss die unterschiedlichen Situationen abbilden". Das Zauberwort der Arbeitgeber dafür heißt Differenzierung, Jahr für Jahr pochen sie auf Sonderklauseln in den Verträgen, die den Betrieben in Absprache mit ihren Arbeitnehmervertretern erlauben, Gehaltssteigerungen verzögert oder nicht vollständig auszuzahlen. Entsprechende Vereinbarungen in den letzten paar Jahren haben Hofmann wenig überzeugt. Von zukünftigen will er gar nicht erst sprechen. Noch liege man im Volumen zu weit auseinander, um an die Feinjustierung zu gehen, sagt er. "Der Bär ist noch nicht erlegt. Über den Zuschnitt des Fells kann man sich noch nicht allzu viele Gedanken machen."

Ob der Bär in der nächsten Verhandlungsrunde am 11. November fällt oder stattdessen vom 17. November an ein unbefristeter Streik droht, "das wüsste ich auch gern", sagt der IG-Metall-Bezirksleiter. Vorkehrungen hat die Gewerkschaft für beide Szenarien getroffen. Bei den Verhandlungen nächste Woche wird auch Bundeschef Berthold Huber zugegen sein, dies zeige zumindest die Hoffnung auf eine Einigung. Gelingt sie nicht, will die IG Metall zügig in den Arbeitskampf gehen, die Streikkasse verträgt laut Hofmann einen wochenlangen Ausstand.

Und welche Perspektiven haben Gewerkschaften und Flächentarife? Der Kampf um Lohnprozente und Arbeitsbedingungen wird auch künftig nicht so geräuschlos ablaufen wie die Wahl eines Papstes. Die Außenwirkung jedoch hat sich bereits verändert: Sozialpolitische und gesellschaftspolitische Themen seien wieder gefragt, meint Hofmann, seit der Finanzkrise und Rettungspaketen für Banken und Konjunktur zählt auch der Begriff "starker Staat" wieder. "Darüber verspüre ich gewisse Genugtuung", sagt Hofmann. Und sieht es als gutes Vorzeichen für seine Auseinandersetzung nächste Woche.

Letzte Änderung: 06.11.2008