Wir müssen nichts korrigieren

IG Metall

15.10.2008 Interview mit dem IG Metall Bezirksleiter Jörg Hofmann mit der WELT am 13. Oktober 2008 - Das Gespräch führten Stefan von Borstel und Flora Wisdorff

DIE WELT: Die Börsen taumeln am Abgrund, die Sparer fürchten um ihre Einlagen, die ersten Automobilhersteller halten ihre Bänder an.
Nur bei der IG Metall scheint die Finanzkrise noch nicht angekommen zu sein. Sie halten nach wie vor an der höchsten Forderung seit 16 Jahren fest. Wie kann das sein?

Jörg Hofmann: Wir beobachten die Krise und verfolgen sehr genau,
welche Auswirkungen sie auf unsere Branchen hat. Wir bleiben aber
bei der Forderung von acht Prozent. Wir müssen nichts korrigieren, das ist unsere Schlussfolgerung.

Meinen Sie das im Ernst? Sie ziehen keine Konsequenzen aus der Finanzkrise für die Tarifrunde?

Hofmann: Die Finanzmarktkrise wird ja offensichtlich auch von
Trittbrettfahrern als Vorwand genutzt. Nehmen Sie das Beispiel des
Fahrzeugbaus. Dass wir ein deutliches Abflachen der Zulassungszahlen in Westeuropa haben, das war jedem schon seit Juni/Juli bekannt.
Damals hat noch niemand über die Finanzmarktkrise gesprochen. Nun
heißt es, die Finanzkrise sei an allem Schuld. Doch die abflauende
Konjunktur auf einigen Auslandsmärkten, die Verunsicherung der
Verbraucher, der Anstieg der Spritpreise, das sind die eigentlichen Gründe. Und diese Entwicklung haben wir bei unserer Forderung lange berücksichtigt. Sicher, in den USA ist damit zu rechnen, dass die
Nachfrage deutlich einbricht. Aber dort hat in den letzten Jahren ohnehin kein deutscher Automobilhersteller Geld verdient. Das wird auch kompensiert durch weiter wachsende Märkte in den Schwellenländern und Russland.

Der IWF erwartet 2009 Null-Wachstum in Deutschland. Sind das auch Trittbrettfahrer?

Hofmann: Ich habe ohnehin wenig Vertrauen in Prognosen. Das DIW
hat zeitgleich eine Wachstumsrate von einem Prozent vorhergesagt,
das arbeitgebernahe IW von 0,7 Prozent. Wir werden ohne Zweifel ein abgeflachtes Wachstum haben. Das ist aber in der Forderung der IG
Metall eingepreist, zudem wir uns an mittelfristigen Zielgrößen orientieren. Eine Rezessionsgefahr sehe ich dagegen nicht.

Wenn Sie Ihre Forderung an diesem Montag erheben müssten, dann
würden Sie doch nicht noch einmal acht Prozent verlangen, oder?

Hofmann: Die Metall- und Elektroindustrie boomt in der Mehrzahl
der Betriebe ohne Ende. Der Samstag ist in vielen Betrieben noch Regelarbeitstag. Und die Leute sagen zurecht, dass sie wegen der Inflation mit stärkeren Belastungen konfrontiert sind. Zudem sehen wir, dass die Renditen der Unternehmen massiv nach oben gehen. Wir
wollen den Teil an der Wertschöpfung, der uns zusteht. Die Arbeitnehmer verdienen einen fairen Anteil an dem von ihnen erwirtschafteten Erfolg.

Müssen Sie nicht um ihre Glaubwürdigkeit fürchten, wenn Sie die
Finanzmarktkrise und ihre Folgen komplett ignorieren?

Hofmann: Wir haben kein Glaubwürdigkeitsproblem. Wir nehmen
die Entwicklungen zur Kenntnis. Unsere lohnpolitischen Forderungen basieren auf den ökonomischen Fakten. Wir gehen davon aus, dass
wir eine Konjunkturdelle bekommen werden, die sich in den Branchen unterschiedlich auswirkt. Doch die Grundstrukturen der Realökonomie und der Metallindustrie bleiben stabil. Auch 2009 können wir mit Wachstum rechnen. Wir haben ein ganz anderes Problem: Wie sollen wir den Menschen erklären, dass sie zum einen als Steuerzahler für die Regulierung der Kollateralschäden der Finanzmarktkrise in die Haft genommen werden, zum anderen auch noch mit einer niedrigeren Lohnentwicklung büßen sollen? Das ist nicht vermittelbar.

Was halten Sie von der Idee eines Moratoriums, einer Denkpause von ein paar Monaten, in der man abwarten kann, wie sich die Krise tatsächlich entwickelt?

Hofmann: Ich halte davon nichts. Wir müssen als Tarifvertragsparteien Verlässlichkeit signalisieren, und zwar über einen Tarifabschluss, der in die Zeit passt und den Beschäftigten spürbar höhere
Entgelte bringt und damit die Binnennachfrage stärkt. Jetzt sind Verantwortung und Handeln gefragt, und nicht das Wegducken in fernere Zukunft. Auch im Interesse der Stabilität von Beschäftigung. Ein
Moratorium brächte nur noch mehr Unsicherheit rein.

Die Arbeitgeber werfen Ihnen vor, sie hätten schon längst einen Streik vorbereitet.

Hofmann: Das ist völlig aus der Luft gegriffen. Es gibt keinen Streik-Automatismus. Aber natürlich wird sich jede Gewerkschaft auf diese ultima ratio einer möglichen Eskalation vorbereiten müssen, wenn sie in die Tarifrunde geht. Wir haben in Baden-Württemberg jetzt noch zwei Verhandlungstermine bis zum Ende der Friedenspflicht. Auch einem weiteren werden wir uns nicht verschließen. Beide Seiten wollen
möglichst schnell - gerade aus den vorher genannten Gründen - zum
Ergebnis kommen, und zwar am Verhandlungstisch.

Letzte Änderung: 15.10.2008