Charismatischer und ...

Willi Bleicher

25.10.2007 ... vernünftiger Arbeiterführer - Vor 100 Jahren ist Baden-Württembergs IG Metall-Legende Willi Bleicher geboren

Südwestpresse am 24. Oktober 2007

Er verband das Charisma des Arbeiterführers mit der Vernunft des
Sachkundigen. Dies sagte Stuttgarts Ex- Oberbürgermeister Manfred Rommel
über Willi Bleicher. Der legendäre Chef der Landes-IG-Metall und Kämpfer
gegen die Nazi-Diktatur ist vor 100 Jahren geboren.

Als Willi Bleicher, einer der legendären Gewerkschaftsführer der Metaller
im Südwesten, am 29. Juni 1981 in Stuttgart beerdigt wurde, ruhte in den
meisten Metallbetrieben im Land für eine Minute die Arbeit. Sechs Tage
zuvor war Bleicher, von den Metallern nur "Willi" gerufen, im Alter von 73
Jahren gestorben. Am 27. Oktober 2007 wäre er 100 Jahre alt geworden. Die
Metaller haben Bleicher auch heute nicht vergessen. Am 26. Oktober
erinnern der DGB und die IG Metall bei einer Feierstunde in Stuttgart an
ihren "großen und leidenschaftlich kämpfenden Gewerkschaftsführer". Vor
allem Bleichers Kampf gegen den Faschismus soll in Erinnerung gehalten
werden.

Wie kein anderer hat Willi Bleicher im Südwesten als Bezirksleiter der IG
Metall das Tarifgeschehen bestimmt. Die Stuttgarter Abschlüsse, erstreikt
mit den straff organisierten Metallern etwa bei Daimler, Porsche, Bosch,
Mahle und mehreren anderen großen Autozulieferern, hatten in der Regel
Pilotfunktion für das ganze Bundesgebiet. Von 1959 bis 1972 war Bleicher
Chef der baden-württembergischen Metaller, bevor er seine Nachfolge an
Franz Steinkühler, seinen Ziehsohn, übergab.

Die Metaller liebten den "Willi", wie sie ihn bei Kundgebungen lauthals
anfeuerten. Für die Metaller, die Bleicher persönlich kannten, war er eine
Legende. In vielen Betriebsratsbüros hängt heute immer noch sein Foto.
"Wenn es um eine bessere und gerechtere Welt für die Arbeiter geht", wie
er selbst immer wieder sagte, ging Bleicher keiner Auseinandersetzung aus
dem Weg.

Auch wenn Bleicher im Arbeitgeberlager stets als "unerbittlicher Kämpfer"
oder gar "Klassenkämpfer" galt - auch die Arbeitgeber und selbst sein
schärfster Tarifkontrahent von damals, Hanns Martin Schleyer, schätzten
ihn wegen seiner Geradlinigkeit und Integrität. Der von Terroristen
ermordete Arbeitgeberpräsident Schleyer sagte einmal: "Wenn Bleicher in
Tarifverhandlungen sein Wort gab, konnte man sich hundertprozentig darauf
verlassen." Bleicher schätzte an Schleyer dessen starke Position im
Arbeitgeberlager. "Wenn er mir seine Zusage gegeben hatte, dann konnte ich
mich auf ihn verlassen", sagte er.

Bleicher führte vor allem die großen Streiks im Südwesten, 1963 und 1971,
bei denen die Arbeitgeber auch aussperrten. Als Sohn eines
Schlossermeisters in Stuttgart-Bad Cannstatt geboren, absolvierte Bleicher
eine Lehre bei Daimler in Stuttgart-Untertürkheim. 1928 trat er in die
Gewerkschaft ein, musste jedoch 1933 wegen seiner Gewerkschaftsarbeit in
die Schweiz und nach Frankreich emigrieren. Ein Jahr später wurde er bei
einem Besuch in Stuttgart verhaftet und später ins Konzentrationslager
Buchenwald gebracht. Über zehn Jahre saß Bleicher in unmenschlicher
KZ-Haft, die seine Gesundheit schwer beeinträchtigte.

Der oft kompromisslose Kämpfer für die Arbeitersache war bescheiden, wenn
es um seine eigene Person ging. Nicht durch ihn selbst wurde bekannt, dass
er sein Leben aufs Spiel setzte, als er im Konzentrationslager ein
jüdisches Kind über ein Jahr verbarg und durchfütterte und ihm das Leben
rettete. Sein Engagement war echt und von Überzeugung getragen. Der
frühere DGB-Landesvorsitzende Lothar Zimmermann sagte, Bleichers Kampf
gegen Nazi-Diktatur und Faschismus, seine politische und menschliche
Glaubwürdigkeit und sein Vertrauen in eine bessere Zukunft seien für alle
Beispiel und Verpflichtung gewesen.

Die Landeshauptstadt Stuttgart verlieh Bleicher 1979 ihre höchste
Auszeichnung: die Bürgermedaille. Der frühere Oberbürgermeister Manfred
Rommel hatte damals unter großem Beifall gesagt: "In Willi Bleicher
verbindet sich das Charisma des Arbeiterführers mit der Vernunft des
Sachkundigen und der Menschlichkeit dessen, der mehr Unmenschlichkeit
ertragen musste als andere." Heute erinnert in Stuttgart die
Willi-Bleicher- Straße direkt am Gewerkschaftshaus in der Stadtmitte an
den großen Gewerkschaftsführer.

Letzte Änderung: 20.11.2007