Mit Anfang 50 zum alten Eisen gezählt

IG Metall Interview

19.06.2007 Interview mit dem IG Metall Bezirksleiter Jörg Hofmann in der Berliner Zeitung am 16. Juni 2007 - Das Gespräch führte Matthias Loke

IG-Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann über Ausstiege aus dem Berufsleben, Lohndrücker und das Verhältnis zur Linkspartei

Herr Hofmann, am Sonnabend findet der Gründungsparteitag der Linkspartei statt. Ist "Die Linke" ein ernst zu nehmender Partner oder nur eine temporäre Erscheinung?

Ich nehme zur Kenntnis, dass es die Partei gibt und dass sie im Bundestag vertreten ist. Es ist auch kein Geheimnis, dass der eine oder andere Metaller dort Mitglied ist oder sich engagiert. Die IG Metall ist aber eine Einheitsgewerkschaft, die mit jeder Partei zusammen arbeitet, die auf demokratischer Basis steht.

Sie bleiben auf Distanz?

Für die IG Metall sind Parteien relevant, die politisch gestaltungsfähig sind. Ich verhehle nicht, dass die Existenz der Linkspartei und deren Thesen beigetragen hat, dass einige Probleme schärfer beleuchtet wurden, aber das war es dann auch. Es gibt keine natürliche Allianz mit der Linkspartei.

Wie sehr hat das Ansehen der SPD, denkt man an Rente mit 67 oder die Agenda 2010, unter Gewerkschaftern und Arbeitnehmern gelitten?

Gewaltig. Die Rente mit 67 war der letzte Kulminationspunkt, der die erheblichen Differenzen zwischen den Auffassungen der IG Metall und der SPD zum Ausdruck brachte. Bei der SPD bedarf es konstruktiver und auch sichtbarer Bemühungen, Arbeitnehmer- und gewerkschaftliche Themen aufzugreifen. Wir sind ja immer bereit, mit der SPD Schritte zu tun, die Arbeitnehmer-Interessen nach vorn bringen. Allerdings muss die SPD dann schon auch vorwärts gehen.

Die SPD setzt immerhin die Union mit ihren Forderungen zum Mindestlohn unter Druck. Am Montag werden sich die Koalitionäre voraussichtlich auf eine Ausweitung des Entsendegesetzes einigen. Ist ein gesetzlicher flächendeckender Mindestlohn dennoch unabdingbar?

Die IG Metall setzt erst einmal darauf, dass Lösungen der Tarifparteien Vorrang haben vor staatlicher Lohnfestsetzung. Insofern ist die Ausweitung des Entsendegesetzes ein richtiger Schritt, weil das die Existenz von Tarifverträgen voraussetzt, die dann für die betreffende Branche für allgemein verbindlich erklärt werden können.

Das geht aber in manchen Branchen nicht, weil es diese flächendeckenden Tarifverträge eben nicht gibt.

Ja, weil entweder die Gewerkschaften zu schwach sind, Tarifverträge zu erzwingen, oder sich die Arbeitgeber durch Tarifflucht schlicht verweigern. Dafür brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn, um Lohndrückerei zu vermeiden. Dann würde auch der Praxis ein Riegel vorgeschoben, dass die Lohndrücker auf Arbeitgeberseite zu Lasten des Sozialstaates ihren Profit machen. Denn die Arbeitnehmer, die sogar mit Vollzeitstellen nicht einmal ihren Lebensunterhalt verdienen können, haben Anspruch auf ergänzende Sozialleistungen. Das heißt, die Steuerzahler bezahlen die Lohndrücker. Das ist absurd.

Greift der Mindestlohn in die Tarifautonomie ein, die die Gewerkschaften sonst für unantastbar halten?

Die Ausweitung des Entsendegesetzes stärkt sogar die Tarifautonomie, weil dann die Tarifparteien selbst für den Mindestlohn verantwortlich sind. Und ansonsten haben Staat und Politik eine Regulierungspflicht, weil sie den beklagten Zustand selbst mit herbei geführt haben.

Inwiefern?

Ohne die Deregulierung des Arbeitsmarktes würde es diese prekäre Beschäftigungs- und Entlohnungssituation bei weitem nicht wie in dem derzeitigen Ausmaß geben. Mit der Agenda 2010, mit dem ALG II und Hartz IV, mit den Midi-Jobs und mit der erleichterten Leiharbeit ist doch dieser Druck auf die Löhne entstanden, sind die prekären Beschäftigungsverhältnisse erst richtig gefördert worden. Wenn es Mindestlöhne jetzt geben sollte, dann reagiert die Politik nur auf etwas, was sie mit angerichtet hat.

Die Beschäftigung wächst derzeit kräftig. Viele Firmen setzen auf Zeitarbeiter. Heißt das, dass Tarifverträge nicht flexibel genug und der Kündigungsschutz zu stark ist?

Zeitarbeit ist eine kurzfristige Kostenoptimierung zu Lasten der Nachhaltigkeit. Leiharbeiter, bei denen sicher ist, dass sie das Unternehmen in absehbarer Zeit wieder verlassen werden, sind kein Garant für Engagement, Innovationen, eigene Ideen. Unternehmen und Arbeitgeberverbände sind heuchlerisch, wenn sie mehr Leiharbeit als willkommene Flexibilisierung bejubeln, aber gleichzeitig den Facharbeitermangel beklagen, der das Wachstum angeblich hemmt: Es gibt eben keine Leiharbeitsfirma, die auch neue Facharbeiter ausbildet. Stattdessen flüchten immer mehr Unternehmen aus ihrer Verantwortung für Ausbildung und Beschäftigung. In manchen Betrieben machen Leiharbeiter bereits einen Anteil von 20 bis 30 Prozent an der Belegschaft aus.

Was wollen Sie dagegen tun?

Bei großen Firmen wie Daimler haben wir Tarifverträge vereinbart, wonach eine Leiharbeiterquote von vier Prozent nicht überschritten werden darf. Das gelingt uns nicht über die gesamte Branche. Deshalb müssen wir die Betriebsräte auch in kleinen und mittleren Firmen für dieses Thema sensibilisieren, damit sie ihre Mitbestimmungsrechte wirkungsvoll einsetzen. Dies gilt auch für die Durchsetzung des "equal-pay"-Prinzips, dort wo Leiharbeit nicht vermeidbar ist.

Die IG Metall fordert wegen des Auslaufens der Altersteilzeit neue Möglichkeiten zum vorzeitigen Ausstieg aus dem Berufsleben. Ist das der richtige Weg?

Wir brauchen auch in Zukunft Möglichkeiten für die Beschäftigten, unter bestimmten Bedingungen und mit anständigem Auskommen vorzeitig aus dem Arbeitsleben zu gleiten. Die betriebliche Realität ist leider die, dass Beschäftigte heute bereits mit Anfang 50 zum alten Eisen gezählt und in vielen Betrieben aussortiert werden. Aber auch die Belastungen sind an vielen Arbeitsplätzen inzwischen so extrem, das ein Arbeiten bis zur Rente gar nicht vorstellbar ist. Wir haben mit unserer Verhandlungsverpflichtung im Tarifergebnis 2007 die Tür für tarifliche Lösungen geöffnet. Jetzt muss der Gesetzgeber klar definierte Rahmenbedingungen schaffen, auf denen die Tarifparteien aufbauen können.

Letzte Änderung: 16.04.2008