Tarifbindung und Tarifautonomie

IG Metall - Jörg Hofmann

02.12.2015 ... werden gestärkt - Koalitionspläne zu Leiharbeit und Werkverträgen: FR-Interview mit Jörg Hofmann

"Entweder man bekennt sich zur Tarifpartnerschaft mit all ihren Vorteilen und Verpflichtungen oder man lässt es bleiben", sagt Jörg Hofmann. Im Gespräch mit der "Frankfurter Rundschau" beurteilt der IG Metall-Vorsitzende die Koalitionspläne zu Werkverträgen und Leiharbeit und ist darüber verwundert, "wie sich ein Tarifverband wie Gesamtmetall dazu kritisch stellen kann."

Frankfurter Rundschau: Herr Hofmann, Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hat die geplante Neuregelung der Leiharbeit und der Werkverträge als Großangriff auf Tarifautonomie und Mittelstand gegeißelt.
Jörg Hofmann: Die Äußerungen sind aus meiner Sicht völlig unverständlich, denn es geht genau um das Gegenteil. Tarifbindung und Tarifautonomie werden durch das Gesetz ausdrücklich gestärkt. Es eröffnet den Tarifvertragsparteien Gestaltungsmöglichkeiten, die nicht tarifgebundenen Unternehmen verwehrt bleiben.

Können Sie Beispiele nennen?
Die Tarifparteien können eine branchentypische Überlassungsdauer für die Leiharbeitskräfte vereinbaren, die auch über die gesetzlich allgemein vorgesehene Höchstdauer von 18 Monaten hinausgehen kann. Auch kann der Zeitpunkt, von dem an Leiharbeitnehmer den gleichen Lohn erhalten wie die Stammbeschäftigten, abhängig von branchenspezifischen Tarifregelungen gemacht werden, die schrittweise Angleichungsschritte bis zum zwölften Monat vorsehen. Ganz wichtig ist die damit verbundene Möglichkeit, nicht exakte Vergleichslöhne für jeden einzelnen Leiharbeiter und Stammbeschäftigten ermitteln zu müssen, sondern pauschalierte, in Tarifverträgen vereinbarte Entgelte. Das erspart den Unternehmen sehr viel Bürokratie. Aber alle Optionen können nur in Tarifverträgen ausgehandelt werden und gelten dann auch nur für tarifgebundene Unternehmen. Wie das die Tarifautonomie schwächen soll, ist mir schleierhaft.

Gesamt-Metall-Präsident Rainer Dulger spricht von "Tarifbindung mit der Brechstange".
Die Koalitionsfreiheit besteht weiter, hier irrt Herr Dulger. Bisher haben nicht tarifgebundene Unternehmen über Bezugnahme die Möglichkeit, nur die ihnen genehmen Teile von Tarifvereinbarungen zu übernehmen, andere aber nicht. Mit dieser Rosinenpickerei will das neue Gesetz zumindest im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung Schluss machen. Entweder man bekennt sich zur Tarifpartnerschaft mit all ihren Vorteilen und Verpflichtungen oder man lässt es bleiben. Ich bin schon verwundert, wie sich ein Tarifverband wie Gesamtmetall dazu kritisch stellen kann.

Die Arbeitgeber haben mit einem Aus für die Branchenzuschläge gedroht, wenn das Gesetz verabschiedet wird.
Entweder die Arbeitgeber halten sich an die Vereinbarungen zu den Branchenzuschlägen, die ja eine stufenweise Annäherung hin zum gleichen Lohn für gleiche Arbeit abbilden. Das war der Kompromiss, den wir gefunden haben, oder der Grundkonsens zur Leiharbeit ist beendet. Und damit gilt "equal pay" vom ersten Tage an. Ich glaube nicht, dass dies im Interesse der Unternehmen läge.

Ein weiteres Argument lautet: Das geplante Gesetz errichte neue Beschäftigungshürden, wodurch die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt erschwert werde.
Das geht völlig an der Wirklichkeit vorbei. Die vordringliche Aufgabe ist die Qualifizierung der überwiegend jungen Menschen, die derzeit zu uns kommen, um ihnen dauerhafte Perspektiven auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu eröffnen. Wir haben mit den Metallarbeitgebern eine gute Regelung für junge Leute gefunden, die noch nicht in der Lage sind, eine Ausbildung zu absolvieren. Sie werden ein Jahr geschult, gefördert und vorbereitet. Dies haben wir in vielen Regionen zusammen mit den Arbeitgebern auch auf junge Flüchtlinge erweitert. Ohne ausreichende Qualifizierung schafft man nur eine billige Reservearmee ohne Perspektiven. Das birgt sozialen und politischen Sprengstoff.

Das alles klingt fast so, als seien sie rundum zufrieden mit dem Gesetzentwurf.
Das sind wir nicht. Betriebsräte haben nach wie vor kein Mitspracherecht, wenn bisher von der Stammbelegschaft erledigte Arbeiten per Werkvertrag an Fremdfirmen vergeben werden. Die Betriebsräte sollen lediglich ein Informationsrecht erhalten, das reicht nicht aus. Wir hatten auch gefordert, dass Betriebsräte zum Beispiel beim Arbeits- und Gesundheitsschutz von Werkvertragsbeschäftigten mitbestimmen.

Aus Sicht der Arbeitgeber hat die Regierung ihr Soll für die Arbeitnehmerseite in dieser Legislaturperiode bereits übererfüllt.
Im Koalitionsvertrag stehen noch zwei Vorhaben, die unerledigt sind: Das Rückkehrrecht von Teilzeitbeschäftigten in Vollzeit und die Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge. Diese Punkte muss die Koalition noch abarbeiten. Wer auf halber Strecke abbricht, erfüllt seine Pflicht nicht.

Das Gespräch führte Stefan Sauer, Dumont Redaktionsgemeinschaft, und ist am 28. November 2015 unter der Überschrift "Schluss mit der Rosinenpickerei" in der "Frankfurter Rundschau" erschienen.

Letzte Änderung: 02.12.2015